Nationaltorwart René Adler: Eine Frage der Härte
René Adler ist zurück im Nationalteam, das nun gegen Holland antritt. Muss sich Stammtorhüter Manuel Neuer um seinen Status sorgen?
René Adler ist anders. Anders als seine Torwart-Kollegen, denen man ja allerhand nachsagt. Sie seien ein bisschen verrückt, schnappten nach allem, was rund ist und sich bewegt, und sie würden, wenn sich ihre kleine Macke zu einer großen auswächst, so auftreten wie Oliver Kahn – als ein Silberrücken, der Konkurrenten mit großem Uga-Uga-Brustgetrommel in die Flucht schlägt.
Adler ist eher ein Mann der leisen Töne, der sich in einer Pressekonferenz auch mal länger Zeit nimmt, um über das Thema Depression zu reden und in diesem Zusammenhang an Robert Enke zu erinnern, der sich vor fast genau 36 Monaten das Leben genommen hat. „Morgen vor 3 Jahren ging ein guter Mensch und Kollege von uns. Helft zusammen mit gegen die Krankheit Depression“, hat Adler auf seiner Facebook-Seite geschrieben.
Die Keeper kannten sich gut, sie waren auch durch ihre Herkunft miteinander verbunden; Enke wurde in Jena geboren, Adler in Leipzig. „Wir bewegen uns in einer Gesellschaft, in der scheinbar nur die Harten überleben, aber Sportler sind auch nur Menschen mit ganz banalen Sorgen“, sagte Adler am Montag.
Er steckte nicht im Trikot des Hamburger SV, als er seinen kleinen Exkurs zum Thema hielt, sondern in der Kluft des Deutschen Fußball-Bundes. Die durfte er sich jetzt nach zwei Jahren Pause wieder überstreifen. Er wurde von Bundestrainer Joachim Löw für das Länderspiel gegen Holland (20.45 Uhr, ARD) an diesem Mittwoch nominiert.
„Was machste dann nach dem Fußball, studieren vielleicht?“
Zwischen Adlers letztem Länderspiel gegen Schweden und dem heutigen gegen den Erzrivalen liegt eine recht lange Zeit des Leidens. Sie begann mit einer Rippenblessur, wodurch er nicht an der WM in Südafrika teilnehmen konnte. Dann laborierte er lange an einer komplizierten Patellasehnenverletzung, wurde von Bayer Leverkusen ausgemustert und ablösefrei an den HSV weitergegeben.
Das alles brachte Adler dazu, „dass ich mir schon Gedanken gemacht habe. Ich hab mir schon überlegt, was machste dann nach dem Fußball, studieren vielleicht?“ Die Leidenszeit erweiterte offenbar seinen Horizont. „Alles bei mir war sehr fokussiert auf den Fußball. Die nötige Distanz war nicht immer da, deshalb hat mir die Verletzung sogar geholfen.“
Und weiter: „Ich habe relativ früh begriffen, dass sich im Spitzensport die Spreu vom Weizen im Kopf trennt. Eine gewisse Gelassenheit ist da nötig.“ Ohne psychologische Unterstützung, so ehrlich gibt sich der 27-Jährige mittlerweile, hätte er diesen Weg aus der Sackgasse wohl nicht gefunden.
Mit der Berufung durch Joachim Löw, der den Klassekeeper Adler hinter seinen Stammtorwart Manuel Neuer in einen Ausscheidungsprozess mit dem diesmal gesperrten Ron-Robert Zieler und dem nicht berücksichtigten Marc-André ter Stegen schicken will, hatte der Musterprofi gar nicht so früh gerechnet. „Wenn ich mir vorstelle, wo ich vor einem halben Jahr war, wo ich fast dem Karriereende nahe war, ist es wunderschön.“
Moskauer Wundertaten
Adler hat zuletzt in der Bundesliga bravourös gehalten. Er ist offensichtlich wieder der Alte. Hält er die Form, wird er zu einer ernsten Bedrohung für Manuel Neuer. Der ist jetzt der Gejagte. Doch für den Exschalker ist es gar nicht so einfach sich auszuzeichnen.
Neuer bekommt beim FC Bayern München wenig zu halten. Umso deutlicher stechen seine Fehler hervor, von denen es in den vergangenen Monaten gar nicht so wenige gegeben hat. Während Adler hinter einer löchrigen HSV-Abwehr ein ums andere Mal glänzen kann, wird Neuer eigentlich nur im Training warmgeschossen.
Und während es nach HSV-Spielen oftmals heißt, Adler habe „den Punkt festgehalten“ oder sogar den Sieg erst möglich gemacht mit seinen Paraden, kann Neuer lange auf solche Schlagzeilen warten.
Für Adler spricht auch, dass er sich als Nummer eins im DFB-Team bereits mit exzeptionellen Leistungen ins kollektive Fußballgedächtnis eingeschrieben hat; erinnert sei nur an die großartige Partie Adlers gegen Russland in Moskau im Oktober 2009. Vergleichbares hat Neuer nicht vorzuweisen. Aber er kann auf eine starke Lobby vertrauen. Der FC Bayern München wird nicht so schnell zulassen, das sein Mann von der Position des Stammtorhüters verdrängt wird.
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