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Nationales Pathos stoppt Christo nicht

Künstler darf nach 22 Jahren den Reichstag doch verhüllen / Fraktionszwang war aufgehoben / Schäuble erklärt die Frage zum nationalen Anliegen – und muß einpacken  ■ Aus Bonn Hans Monath

Nach 22 Jahren Kampf für sein Reichstagsprojekt hatte der Aktionskünstler Christo gestern seinen großen Tag: Die Mehrheit im Bonner Bundestag entschied sich für die Verhüllung des Berliner Wallot-Baus. Trotz der ablehnenden Haltung Kanzler Kohls und der mit großem nationalen Pathos vorgetragenen Mahnung Schäubles stimmten in namentlicher Abstimmung 292 Abgeordnete für, 223 gegen das Vorhaben, wobei die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern quer durch die Fraktionen liefen. Einig waren sich die Abgeordneten lediglich in der Absicht, sich nicht zu Richtern über die Kunst Christos aufspielen zu wollen.

Nicht um materielle Fragen ging es den Gegnern des Projekts in der rund einstündigen Debatte, sondern um Symbole. Mögliche Einwände wegen der Kosten mußten ins Leere laufen, da Christo von Anfang an erklärt hatte, er werde die rund 10 Millionen Mark für die 14tägige Verhüllung aus dem Verkauf eigener Arbeiten finanzieren. Die Befürworter, die von Christo ein „künstlerisches Zeichen für den Neuanfang in Berlin“ (SPD- Abgeordneter Peter Conradi) erwarten, verweisen darauf, daß das Projekt Arbeitsplätze schafft, indem die 100.000 Quadratmeter Tuch in der Bundesrepublik produziert werden.

Projekt-Gegner Burkhard Hirsch (FDP) mahnte den Bundestag, er dürfe sich nicht für die PR- Kampagne eines Privatmannes einspannen lassen. Der Reichstag, in dem sich „Glanz und Elend des deutschen Parlamentarismus widerspiegelt“, eigne sich nicht für die Aktion. Andere Gegner verwiesen auf die überwiegend ablehnende Haltung der Bevölkerung.

CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble versuchte, die Entscheidung über Christos Projekt zur nationalen Schicksalsfrage der Deutschen zu stilisieren. Der Reichstag sei das „wohl wichtigste und symbolträchtigste Gebäude in Deutschland“, und mit solchen Symbolen staatlicher Institutionen dürfe man keine „Experimente“ anstellen, meinte er und forderte, „jeden Anschein von Ironie im Umgang mit unserer Geschichte“ zu vermeiden. Fast wortgleich wiederholte Schäuble Argumente, mit der die FAZ Mitte der Woche in einem Leitartikel gegen Christos Pläne Stimmung gemacht hatte. Der CDU/CSU-Fraktionschef beschwor gar die Gefahr, daß „unsere demokratische Kultur und Geschichte Schaden nehmen könnte“. Auch Bundeskanzler Kohl hatte sich mit Hinweis auf die Würde des Reichstags in seiner Fraktion ausdrücklich gegen Christos Plan ausgesprochen. Die politische Auseinandersetzung um das Symbol Reichstag ist mit der gestrigen Bundestagsentscheidung noch lange nicht beendet. Der SPD-Abgeordnete Hans Wallow fordert nun, der Tagungsort des deutschen Parlaments dürfe nach dem Einzug des Bundestags nicht länger den Namen „Reichstag“ tragen. Mit dem Namenswechsel will er einen „Bruch mit der ruhmlosen Vergangenheit“ vollzogen sehen.

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