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Nandus in Mecklenburg-VorpommernGrenzen der Willkommenskultur

Im Norden geht es dem Nandu gut. Doch nachdem der Laufvogel aus Südamerika lange umsorgt wurde, wird die Luft für ihn langsam dünner.

Yummy Pflanzen in Deutschlands Norden: Ein wildes Nandu im Westen Mecklenburgs Foto: Alimdi/imago

Nandus gehören zu den Vögeln, die heißen, wie sie rufen. Dabei klingen die tief schallenden und weit reichenden „Nan du“-Rufe weniger nach einem Vogel. Sie ähneln eher dem „Roar“ großer Säugetiere. Vor allem von den männlichen Nandus zu hören, haben die tiefen Sounds den Vögeln nicht nur ihren Namen, sondern auch viel Platz in lateinamerikanischen Mythen und der Populärkultur eingebracht. Da die Vögel ihr „Nan du“ auch in die Nacht rufen, kennt sie überall, wo sie vorkommen, wirklich jede und jeder als Nandus.

So auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo die flugunfähigen Großvögel aus der Steppe Südamerikas zwischen Raps- und Weizenfeldern hervorragende Lebensbedingungen vorgefunden haben. Fast 600 Exemplare wurden 2018 gezählt. Bei der Population handelt es sich um die einzige in Europa; sie stammt von den wenigen Vögeln ab, die 2000 aus einem Gehege südlich von Lübeck entwischen konnten.

Nandus kommen im Norden Brasiliens und in Argentinien in zwei Arten vor und werden bis zu 25 Kilogramm schwer. Beide Arten werden oft als Nahrungskonkurrenten von größeren Säugetieren wie Schafen und Rindern angesehen, das ist aber nur die halbe Wahrheit. Nandus verputzen auch Samen, die Rindern zu bitter sind, und solche mit Hafthülle, die den Schafen die Wolle verfilzen. Wahrscheinlich sind die Nandus also eher Freunde und Helfer der Rinder und Schafe.

Gründe, Nandus zu vertreiben, gibt es für Menschen eigentlich nicht. Die Vögel sind grundsätzlich freundlich und lassen sich auch dementsprechend leicht zähmen. In Deutschlands Norden gibt es auch eine erzwungene Willkommenskultur für den Vogel aus Südamerika: Nandus sind nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen geschützt.

Der Hahn kümmert sich um die Aufziehung von Jungtieren

Dennoch wurde unlängst per Ausnahmegenehmigung die Jagd auf den Vogel eröffnet, weil er sich bei den Rapsbauern durch die Ernte fraß. Bei der Herbstzählung verzeichnete das Agrarministerium in Schwerin 2020 nur noch knapp 300 Tiere. Unklar ist, ob die braven Vögel nur das Fürchten vor dem Menschen gelernt haben und sich besser verstecken oder ob heimische Jäger ihren Blutdurst auf Großwild entdeckt haben.

In offenen Gruppen von fünf bis 30, seltener bis zu 50 und mehr Vögeln umherziehend, achten Nandus streng auf die Einhaltung einer gewissen Individualdistanz. Wird diese unterschritten, kommt es zu den wenigen Aggressionen, die das Sozialleben der Nandus begleiten. Dann gibt es gegen den Eindringling einen in die Luft gesetzten Kopf-nach-vorn-Stoß, der aber immer symbolisch bleibt und nie gefährlich wird.

Leben in den großen Gruppen weibliche, männliche und heranwachsende Nandus ohne strengere Hierarchien zusammen, werden die Nanduhähne in der Paarungszeit territorial. Um ihre Territorien, die aus nichts mehr als einer mit Gras ausgelegten Nestmulde bestehen, können die Hähne auch mit Bissen und Tritten kämpfen.

Da sie aber, bevor sie kämpfen, oft lange nebeneinanderher laufen, um dabei vermutlich ihre Kräfte zu messen, ist die Regel nicht der Kampf. Meistens hat einer der Hähne schon beim Laufen eingesehen, dass der andere stärker ist, und verlässt den Kampfplatz. Und wenn die Hähne sich dann um ihre Nester verteilt haben, versuchen sie Hennen von sich zu überzeugen.

Nandus leben in einer freien Gemeinschaft

Auch dafür rennen die Hähne wieder viel, wie Nandus überhaupt sehr schnelle Läufer sind. Zickzack laufend mit abgespreizten Flügeln, umgarnt der Hahn einige Hennen. In der Folge wird er die Hennen irgendwann zum Nest führen, in das sie alle nacheinander ihre Eier legen – bis zu 56 Stück kommen da insgesamt schon mal zusammen. Die Hennen ziehen von Hahn zu Hahn weiter, und die Brut und die Pflege der Jungen, was beides zusammen insgesamt sechs Monate dauern kann, erledigt allein der Mann.

In diesem Zeitraum, in dem die Küken nicht nur für Feinde wie Greifvögel oder Hunde extrem verwundbar sind, verhalten sich die Nanduhähne wachsam und aggressiv. Wobei ihre Aggres­sio­nen sich dann nicht mehr gegen anderen Nandu­hähne richten: Die Küken wählen ihr Nest selbst aus, das heißt, Küken des einen Hahns können ohne Furcht zu einem anderen wechseln.

Wenn nach sechs Monaten die Alleinaufzucht des Hahns endet und die Hähne sich wieder mit den Hennen in Gruppen zusammentun, bleiben die Jungen in der Regel für weitere zwei bis drei Jahre in der Nähe ihres Ziehvaters. Danach versuchen neue Hähne selbstständig eine Nestmulde anzulegen und zu verteidigen.

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6 Kommentare

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  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Wenn eine Art dazu kommt, müssen andere weichen. Wer also stirbt für die Nandus aus? In der Natur gibt es schließlich keine unbesetzten Plätze.



    Der Mensch verdrängt durch seine Anzahl die anderen Arten. Bis die Population zusammenbricht.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Es gibt keine unbesetzten Plaetze in der Natur, ausser nach einem extinction event. Der Mensch ist ein solches. Ich koennte mir gut vorstellen, dass die absolut nicht natuerliche Umgebung, aus der wir als Mensch ja viele der groesseren Tiere durch Jagd komplett entfernt haben, durchaus Platz fuer einen relativ grossen Pflanzenfresser hat. Insbesondere in einer Region, wo auf den Aeckern quasi pure Energie in unnatuerlichen Mengen angebaut wird. Lokal habe ich nur von Bauern Klagen gehoert. Wissen tue ich es hingegen nicht.

  • Ebenfalls vielen Dank für den Artikel und den Link zu den mir völlig unbekannten Schatz des Tierstimmenarchivs.

    Interessant zu Wissen wäre nun ob die Population der Nandus in nordwest Mcpomm wirklich kleiner wird und wenn ja woran es liegt - sind es wie üblich die Jäger oder hat der sich auch dort etablierende Wolf eine einfache Jagdbeute entdeckt und reguliert nun merklich den Bestand.

  • Man könnte ja ein paar umsiedeln, wenn in MV zu viele sind. SH und NI haben doch auch Platz.

  • Guter Beitrag.



    Der link- digibib- is jut.



    Jetzt sitze ich da und höre mit Begeisterung Vogelrufe. Gerade bin ich bei Dryocopus martius.



    Klasse.



    Sitta europaea

  • in Lateinamerika stirbt der Nandu nicht durch Wilderei aus, sondern durch Brandstiftung. Dieses Schicksal trifft selbstverständlich alle Tiere. Wilderer/Jäger rotten viel weniger aus als man denkt, mit Ausnahme der Fischerei natürlich. 90% aller Arten an Land werden von Bauern ausgerottet. Großflächige Brandstiftung können die Bauern in Deutschland aber nicht machen, so dass der Bestand der Nandus als gesichert gelten kann. Das einzige was dem Nandu in Deutschland wirklich gefährlich werden kann, ist Stacheldraht.



    Link Brände weltweit



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