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■ DaumenkinoNächster Kuß

Reinhold Schünzel war schon in der Stummfilmzeit eine Berliner Berühmtheit, eine stilprägende, hochmodische Erscheinung. Vor allem als Schurkendarsteller brachte er bösartige Wirkungen hervor – ein Mann, der sich wonnevoll hassen ließ. Zähneknirschend mußte Goebbels den „Halbjuden“ ertragen, denn er stand unter Hitlers Schutz. Den Führer hatte eine Zuneigung zum Schünzel-Star Renate Müller erfaßt. Erst als diese Leidenschaft erlosch, konnte sich Schünzel nicht mehr halten und emigrierte 1937. Bis dahin hatte er als Regisseur geistvolle Komödien wie „Victor und Victoria“ und den Klassiker „Amphytrion“ geschaffen, ein schwach verhüllter Hohn der Nazi-Operettenästhetik.

Regisseur Hans-Christoph Blumenberg spürt in den biographischen Episoden seines dokumentarischen Spielfilms Beim nächsten Kuß knall' ich ihn nieder einem ständig Unzeitgemäßen nach, der zwar mit seiner Kunst einen Nerv traf, aber mit seiner Biographie stets quer lag. Wunderbar spielt Peter Fitz die ironische Widerspenstigkeit, die der Regisseur den Nazis entgegensetzte. Im amerikanischen Exil mißtrauen die Emigranten dem spät Geflüchteten. Kortner vermutet in ihm sogar einen Spitzel Goebbels'. Im Nachkriegs- deutschland gibt es für den Heimgekehrten keinen Neuanfang. Fitz' feinsinniges Spiel hebt die Kargheit der Inszenierung auf, die sich manchmal ansieht, als seien Gesprächsprotokolle für das Schulfernsehen nachgestellt worden. In seinem Bestreben, verhängnisvolle Kontinuitäten in Schünzels Lebensweg aufzuzeigen, schreckt Blumenberg auch vor kräftiger Vereinfachung nicht zurück. Der heimgekehrte Regisseur steht in Hamburg vor einem Kulturbürokraten, der vom gleichen Schauspieler verkörpert wird, der auch den faschistischen Propaganda-Ministerialbeamten darstellte. Auch die Argumente gleichen sich und die Sekretärin ist die Tochter der Dame, die einst dem Nazibonzen Kaffee kochte.

„Beim nächsten Kuß ...“ verweist auf den Verlust, den das deutsche Kino in den zwölf braunen Jahren erlitten hat – ein Einschnitt, von dem es sich nie wieder ganz erholen konnte. Das Neue Deutsche Kino hatte sich der Komödie erst gar nicht zugewandt, weil es hier ohne Landkarte gänzlich unbekanntes Gebiet betreten hätte, und heutige Spezialisten für das Heitere wirken wie Vertreter einer Generation, die keine Eltern, sondern nur einen Fernseher hatte. Knut Elstermann

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