Nadine Conti Provinzhauptstadt: Nimm mal die Fahne da weg!
Ein bisschen habe ich gezögert, überhaupt darüber zu schreiben. Ein heikles Thema, ein idiotischer Vorgang, die falsche Art von Aufmerksamkeit an der falschen Stelle. Aber irgendwie lässt mich das trotzdem nicht los. Es gab da dieses Instagram-Bild vor zwei Wochen. Ein Bezirksratsherr der Linken aus Hannover posiert mit der Palästinenserflagge zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin. Herrje, dachte ich erst, brauchst du so dringend Aufmerksamkeit?
Die Reaktionen kamen natürlich prompt, auch aus der eigenen Partei, es gab harsche Verurteilungen, unbeholfene Erklärungsversuche, einen Instagram-Account, der schnell auf privat gestellt wurde. Erledigt eigentlich. Denn am Ende, seien wir mal ehrlich: Wie sich irgendein Bezirksratsherr der Linken auf Instagram zu dringenden Fragen der Weltpolitik positioniert, ist – nun ja, sagen wir mal – nicht kriegsentscheidend.
Das falsche Pathos triggert mich
Aber irgendetwas daran triggert mich. Vielleicht ist es der pompöse, falsche Pathos in diesem Bild, die kalkulierte Provokation. Wie er da steht, mit ernster Miene, die Kopfbedeckung vor die Brust haltend, mit der anderen Hand die Fahne aufpflanzt. In welcher Vorstellungswelt muss man eigentlich leben, um das für hilfreich oder erkenntnisfördernd zu halten?
Er habe gar nicht den Holocaust relativieren wollen, sondern bloß darauf hinweisen wollen, dass dieses „Nie wieder“ auch für palästinensische Opfer gelten müsste, so oder so ähnlich lautete einer der Rechtfertigungsversuche. Klingt für mich wie jemand, der auf „Black lives matter“ mit „all lives matter“ antwortet.
Aber was mich vielleicht noch mehr irre macht, ist dieser Drang, seine Fahne irgendwo hinzupflanzen. Oder seine Profilbildchen damit zu versehen. Als wäre das Ganze ein Scheiß-Fußballspiel und jeder soll wissen, für welche Mannschaft du bist. Dauernd geht es nur noch darum: Für welche Seite bist du? Egal, ob Akademiker sich mit Offenen Briefen bewerfen oder Jugendliche mit Propagandavideos auf Tiktok.
Ich bekomme Albträume von den toten Babys und verletzten Kindern, die beide Seiten für sich in Stellung bringen. Israelische Kinder, palästinensische Kinder. Wie ein Quartett des Grauens. Gewinnt am Ende, wer den höheren Leichenberg vorzuweisen hat? Oder wird das größere Opfer bloß zum moralischen Sieger erklärt und der andere darf dann regieren? Weil, wenn man so ein Weltbild pflegt, nachdem die Machtlosen und Unterdrückten zwangsläufig die Guten sind, dann dürften die doch eigentlich nie die Macht gewinnen?
Manchmal träume ich auch von einem Aufstand der Mütter, von Müttern, die sich weigern, weiter Kinder zu gebären, sie zu Kämpfern zu erziehen und frühzeitig zu beerdigen. Aber solche Träume sind natürlich bloß emotionale Notwehr und ungefähr auf dem gleichen intellektuellen Niveau wie diese Foto-Tweets, die mich darauf hinweisen, wie unfassbar nett Hamas-Kämpfer zu ihren Geiseln angeblich sind.
Ich würde wirklich, wirklich so viel lieber etwas darüber hören, wie man sich eine Lösung vorstellt, als darüber, auf wessen Seite man ist. Aber das Problem ist nicht nur, dass so Lösungsvorschläge für eine komplexe Problemlage nicht gut auf Profilbildchen oder Insta-Kacheln oder in Tiktok-Videos passen. Es scheint sie auch schlicht nicht zu geben. Und das ist so beängstigend, dass man sich lieber mit Nebensächlichkeiten befasst. Flaggen zum Beispiel.
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