Nachwuchs für die Grünen: Eine Partei auf Talentsuche
Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer möchte lieber ins Europaparlament. Jetzt beginnt die Suche nach geeignetem Nachwuchs.
Es ist nicht nett und auch nicht höflich, der amtierenden Führung der Grünen vorzuwerfen, dass der ganze Club nahezu gleich alt, nämlich Anfang, Mitte 50 ist.
In der Politik ist Anfang, Mitte 50 kein Alter - jedenfalls für Männer. Frauen ab 50 müssen tatsächlich mit noch hämischerer Nachrede rechnen als ohnehin schon. Doch gilt dies wiederum weniger für die grünen Frauen, die dank der Gleichberechtigungspolitik ihrer Partei auch vom Vorbehalt gegen das weibliche Alter weitgehend verschont bleiben.
Nein, das biologische Alter der Partei- und Fraktions-Doppel- und Dreifachspitze ist nicht allein der Grund, den Grünen ein bisschen Generationenwechsel zu wünschen. Es ist vielmehr das politische Alter, also vor allem die rot-grünen Jahre, die den fünf Obergrünen Claudia Roth, Reinhard Bütikofer, Renate Künast, Fritz Kuhn und Jürgen Trittin wie Beton auf den Schultern lasten. Umso honoriger ist es, dass wenigstens Bütikofer jetzt den Platz räumt und so das grüne Spitzenpersonal zu einem Fünftel erneuert werden kann.
Stellt sich die Frage: Wo steckt er denn, der Nachwuchs? Warum sieht und hört man so wenig von ihm in der Öffentlichkeit? Es ist ja nicht so, dass die Grünen gar keine Talente in ihrer zweiten und dritten Reihe hätten. Nun ja, einige sind gegangen. Der Staatssekretär im damaligen Künast-Ministerium, Matthias Berninger, war so sauer, dass ihm bei der Neuaufstellung nach der Bundestagswahl 2005 keine Chance gegeben wurde, dass er jetzt in Süßwaren macht. Er arbeitet für Mars in Brüssel. Klaus Müller war redegewandter Umweltminister in Schleswig-Holstein und ging nach dem Sturz der SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis dann doch lieber zur Verbraucherzentrale.
Doch andere sind ja da. Nicht nur tief im Süden, wo ein Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (35) als grüner Jungstar gehandelt wird. Nicht nur in Europa - wo ein gewiss nicht ungeeigneter Cem Özdemir sich in Stellung bringt. Auch in Berlin hat sich etwa der Mannheimer Gerhard Schick (35), 2005 in den Bundestag eingezogen, mittlerweile zum finanzpolitischen Sprecher der Fraktion hochgearbeitet. Seitdem die Wirtschaftspresse seine Kompetenz anerkennt, hat sich auch sein Selbstbewusstsein auf das für eine kommende Führungsperson notwendige Format vergrößert.
Die Haushaltspolitikerin der Grünenfraktion, Anja Hajduk (44), sitzt gerade bis zu den Ohren in Hamburger Koalitionssondierungen, denn sie ist außerdem auch Hamburger Partei-Landeschefin. Wird Hajduk in der Hansestadt nicht demnächst als Senatorin in einem schwarz-grünen Kabinett gebraucht, kommt die studierte Psychologin sicherlich auch in Berlin noch für andere Posten in Frage.
Und damit ist die Liste noch nicht zu Ende. Doch egal welchen Namen man noch nennt - auffällig an allen Spekulations-Kandidatinnen und -Kandidaten ist ihre parteipolitische Unauffälligkeit. An einer straff organisierten Führung liegt das jedenfalls nicht. Im Gegenteil hätte das Gezerre und Gezicke an der Grünenspitze in den vergangenen zwei Jahren von Jüngeren ausgenutzt werden können.
Dass dies nicht oder kaum passiert ist, spricht erstens für mangelnden Ehrgeiz, was nicht grundsätzlich vorwerfbar ist. Doch könnte ein Grund für den mangelnden Ehrgeiz zweitens auch darin liegen, dass die Nachwuchsgrünen abwarten wollen, wohin das Schiffchen eigentlich nun segelt - eher nach rechts oder eher nach links.
Seitdem die Grünen in die Opposition gegangen sind, wollen sie schwarz-grüne Koalitionen, um ihr strategische Position aufzuwerten. Gleichzeitig aber meint der Löwenanteil der Mitglieder, das nächste anzustrebende Bündnis müsse rot-rot-grün sein. Inhaltlich haben sich die Grünen ohnehin eher nach links bewegt, nur wurde das mit dem Programm in der Führung ja noch nie so eng gesehen.
Möglicherweise fühlte sich die jüngere, aufstrebende Grünen-Generation klug darin beraten, erst einmal zu schauen, wie die alte Garde dieses Dilemma bewältigt. Das allerdings darf ab sofort als Opportunismus bezeichnet werden. Wer den Grünen Glaubwürdigkeit verleihen will, muss jetzt aus der Nische krabbeln - und zwar um den Preis, für links oder rechts gehalten zu werden. Es gibt Schlimmeres.
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