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■ NachschlagEin Theaterstück von Pablo Picasso im Kammer Theater 22

Der Dichter Plumpfuß sinkt melancholisch in seinen Sessel zurück, setzt zum Sprechen an, wartet noch, bis sich das Publikum genügend gesammelt hat, um Tiefschürfendes zu hören... und schwärmt von Ragouts und der Köchin: Hunger- und Männerphantasien eines alten Spitz. Diese Fehlzündungen gespannter Erwartungen beherrscht die junge Truppe des Kammer Theaters 22 am besten in ihrer Inszenierung von Pablo Picassos „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“. Drei Tage schrieb der Maler an diesem Stück im Januar 1941. Das karge Bühnenbild erinnert an einen Kartoffel- und Kohlenkeller, an Kälte, Knappheit und verstecktes Leben im besetzten Paris. Einmal träumen die Freunde, sie lägen in der Sonne: Ihre wohligen Seufzer schwellen zum Gebrumm der Marseillaise an. Aber dieses Bild gemeinschaftlicher Wärme bleibt die Ausnahme. Meist bewegen sich Texte, Emotionen und Körper nebeneinander her, als ob sie aus verschiedenen Stücken stammten.

Spannend ist das nicht, oft fehlt es der Inszenierung von Daniel Fischer an Tempo und Witz. So, wie er mit Farben um der Farben willen male, habe er einmal die Worte ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung gebrauchen wollen, verriet Picasso. Der Aufführung gelingt es kaum, der Sprache diese Ebene der Selbstdarstellung zu öffnen. Aber „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“ ist auch kein genialer Wurf wie etwa Jarrys „König Ubu“. Daß der Großmeister der Leinwand als Sprachschöpfer nur surrealistisches Feierabendniveau erreicht hat, ist tröstlich. So bleiben vereinzelte Höhepunkte, wie der Frostbeulenblues oder die Lotterie, ein Wettrennen um das Glück.

Im März 1944 erlebte das Stück seine improvisierte Uraufführung, Regie: Albert Camus, unter den Darstellern: Simone de Beauvoir, Sartre, Raymond Queneau. Diese Momentaufnahme aus dem damaligen Paris der Intellektuellen ist unwiederholbar. Mögen sie sich mit dem Irrsinn des Textes über den Irrsinn der Wirklichkeit für eine Nacht getröstet haben. Für uns, die wir im Warmem sitzen, ist die Lust am Absurden eher ein historisches Zeugnis. Katrin Bettina Müller

Am 14. und 17.-21.4., 20.30 Uhr, Kammer Theater 22 im Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstraße 3, Kreuzberg

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