■ Nachschlag: „Shakespeares sämtliche Werke (in 90 Minuten!)“ bei den Vaganten
Ganz schaffen sie es nicht. Auch wenn sie uns am Ende weismachen wollen, noch ein paar wenige Minuten seien übrig und damit Gelegenheit, als Zugabe „Hamlet“ noch einmal rückwärts zu präsentieren. Aber zu diesem Zeitpunkt haben die drei Akteure ihr Publikum längst im Griff und sogar dazu genötigt, auf der Bühne und im Saal Ich, Über-Ich und Es der Ophelia zu geben, weil man mit drei Darstellern zwar den kompletten Shakespeare samt Sonetten auf die Bühne hieven kann, aber nicht eine komplexe Figur wie des Polonius' Tochter. Das Gesamtwerk wird versprochen und gehalten. Die Komödien etwa werden zu einer einzigen Handlung zusammengefriemelt und die Mechanismen der Verwechslungen und Verwirrungen bloßgelegt: austauschbare Versatzstücke, in denen am Ende „alle heiraten und schick essen gehen“.
Was das britische Komödiantentrio Adam Long, Daniel Singer & Jess Winfield ihrem Nationaldichter auf den Leib schrieben und zu einem beispiellosen britischen Bühnenerfolg werden ließen, hat sich Regisseur Andreas Schmidt für hiesige Verhältnisse zurechtgelegt und gnadenlos als Klamotte aufbereitet. Das Prinzip dieser Tour de force: Theater auf dem Theater. Drei mäßig begabte und disziplinierte Schauspieler (dargestellt von Cyrill Berndt, Christoph Jungmann und Stefan Lochau) präsentieren ihre Shakespeare-Exegese und letztlich noch viel mehr von sich selbst und ihrer unverstandenen Schauspielkunst. Mehr und mehr geraten ihre Pannen, Peinlichkeiten und Zänkereien in den Mittelpunkt. Der eine bändelt mit einer Zuschauerin an, der andere muß seinen Wagen aus dem Parkverbot fahren, oder es wird ein Monolog vertauscht und sich über die Ungebührlichkeit gestritten. Yoricks Schädel ist ein leuchtender Plastik-Halloween-Kürbis und Cleopatras Natter dann doch nur eine zuckersüße Schaumgummischlange.
Nicht alle Persiflagen haben die gleiche Qualität. Wenn aber die gesamten Königsdramen aus eigentlich naheliegenden Gründen zu einem Fußballkommentar samt Schlachtenbummlern und Stadionsgegröle zurechtgebogen werden, liefern die drei Unermüdlichen einen Glanzpunkt dieses Abends. In den besten Momenten ein schöner, rasanter Bühnenblödsinn. Axel Schock
6.11., 8.11., 20 Uhr, Vagantenbühne, Kantstraße
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