: Nachschlag
■ Interlit 3: Salwa Bakr und Leila Chudori im Literaturhaus
Am Anfang war der Wortmüll. „Nach der Moderne – das postapokalyptische Bewußtsein der Metropolen“ lautete der Titel einer Veranstaltung am Donnerstag im Literaturhaus innerhalb der Internationalen Literaturtage. Was bitte hat das Bewußtsein fremder Metropolen mit der deutschen Panik vor den neuen, verwirrenden Postleitzahlen zu tun? Oder sollte wieder alles ganz anders, viel metaphysischer, gemeint sein?
Salwa Bakr aus Kairo erzählt die ironisch-bittere Kurzgeschichte von drei unverheirateten, unscheinbaren Schwestern im mittleren Alter, die einen Brief an den Herausgeber einer Kontakt-Zeitschrift schreiben. Weder reich noch schön, wollen sie endlich mal etwas anderes als nur ihre Hauskatze streicheln. Trude Heers Schokoladenlied auf ägyptisch: Ich will keine Apokalypse, ich will lieber einen Mann! Auch die 1962 geborene Leila Chudori aus Jakarta/Indonesien konnte nicht mit Blut und Mystik und einer „gewachsenen Kultur“, die sich angeblich europäischen Bewertungsmaßstäben entziehe, dienen. Im Gegenteil: ihre traditionell erzählte, thematisch in Indonesien ungeheuer mutige Geschichte mahnte in jedem Satz die Universalität der Menschenrechte an: oppositionelle Studenten in einer Gefängniszelle in der Nacht vor ihrer Hinrichtung. Eingeschoben in diese Handlung wird zum Kontrast ein ganz anderes Milieu: ein gut situierter Vertreter des Regimes im Gespräch mit seiner zweifelnden Tochter. Anhand seiner launischen Auslassungen legt Leila Chudori offen, was solche Argumentation in Wirklichkeit ist: Täterrhetorik. Die Tochter verweigert sich dem, und die Studenten werden am nächsten Morgen hingerichtet.
Befragt nach ihren Jakarta-Erlebnissen, lieferte die Autorin ebenfalls nichts Postapokalyptisches. Not, Elend, Terror, aber auch das andere sei präsent: Kommunikationsmöglichkeiten in der Großstadt, Fernsehen, Presse, Vernetzung in die Welt, die sofort erfährt, wenn wieder auf streikende Arbeiter geschossen wurde. Diese humane Pragmatik beeindruckte – allen Folterern und den sie agitatorisch flankierenden Kulturrelativisten zum Trotz. Marko Martin
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