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SanssouciNachschlag

■ Mehr Kopfsalat: Ein Schattenspielabend im Tiyatrom

Die Idee, Peter Schlemihls wundersame Geschichte vom verkauften Schatten als Schattenspiel zu inszenieren, leuchtet ein. Die Verknüpfung von Chamissos Schlemihl, der seinen Schatten gegen ein unerschöpfliches Goldsäckel eintauscht, mit Karagöz (d.h. Schwarzauge), dem spaßhaft-schlagkräftigen Volkshelden des türkischen Schattentheaters, klingt ebenfalls plausibel. Doch der Aufführung in Kreuzbergs türkischem Theater Tiyatrom gelingt es allenfalls in Ansätzen, die Idee zu beflügeln.

Die angekündigte Verbindung zum traditionellen türkischen Karagöz-Spiel erschöpft sich in der Einrahmung durch Prolog und Epilog. Das Eröffnungsritual baut mit der Handtrommel Spannung auf. Der Prolog beschwört die Vergänglichkeit der Schatten in Versen des Philosophen Mustafa Ali aus dem 16. Jahrhundert. Auf dieser philosophischen Grundlage will die Regie den Schatten als offenes Symbol verstanden wissen, das jeder Zuschauer selbst deuten muß.

Zwar belebt das Licht die zwölf ausdrucksstarken Kopfpuppen von Deborah Cocking, mit Karagöz-Figuren haben sie aber nichts gemein. Sie werden in einem Bühnenbild aus drei beweglichen Stellrahmen mit Vorhängen von drei Schauspielerinnen präsentiert. Der kopfballastige Gesamteindruck des Abends liegt jedoch nicht an ihrer darstellerischen Leistung, vielmehr sind die Autorinnen Rike Reiniger und A. Kadir Cevik auf halbem Wege steckengeblieben. Statt eines Mannes ohne Schatten sieht man einen Kopf ohne Körper. Wer käme schon auf die Idee, diesem seelenlosen Subjekt auch noch seine Seele abluchsen zu wollen? Die Grundthemen von Chamissos Vorlage, die romantische Zerrissenheit und die biographisch begründete Heimatlosigkeit, bleiben auf der Strecke, obgleich sich ein produktives Spiel mit intertextuellen Bezügen angeboten hätte.

Während ich mich krampfhaft bemühe, einen Lichtblick an diesem Abend zu entdecken, fühle ich mich zugleich in den Fallstricken der political correctness gefangen: Als Türkin werde ich in die kulturelle Ethnoecke geschickt, weil die deutschen Kollegen selbst keine Lust haben, sich dort zu langweilen. Wo wenig Licht ist, ist eben viel Schatten... Deniz Göktürk

„In dieser Welt einen Schatten haben“, heute 20 Uhr im Tiyatrom, Alte Jakobstr. 12. Ab 14. Januar bietet das Theaterfest zum zehnjährigen Jubiläum des Kulturensembles Diyalog ein breiteres Spektrum türkischer Theaterarbeit.

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