Sanssouci: Nachschlag
■ Hamlet auf italienisch: "Amleto" regredierte im Hebbel-Theater
Ungeliebtes Kind: Paolo Tonti als Hamlet Foto: Societas
Mit krummen Schultern steht er da, minutenlang, sein Mund formt Blasen aus Spucke, sein Kopf schwankt, als wäre er nicht richtig am Hals befestigt. Der magere Junge tritt seinen Teddybären durch die Gegend, dann hebt er die Spielzeugpistole. Ein nervenzerfetzender Knall ertönt, der erste von Dutzenden – das Ende der Kommunikation. Dieser Hamlet ist ein gequältes Kind, das vergeblich um Sprache ringt. „My name is...“, fängt er an, kritzelt mühsam einen Buchstaben an eine Tafel, bricht zusammen, schreibt den nächsten Buchstaben, streicht aus. Nach zehn Minuten hat er das Wort gefunden: „aborto“. Hamlet, der unglückliche Prinz, der seine eigene Geburt verfluchte: ein abgetriebener Fötus.
„Die vehemente Äußerlichkeit des Todes einer Molluske“ lautet der Untertitel dieses „Amleto“ der italienischen Theatergruppe Socetas Raffaelo Sanzio. Auflösung der Identität, Tod und Verstummen sind die Grundmotive der Aufführung, in der jeder Gegenstand auf der Bühne, jeder mühsam geformte Laut und jede endlos wiederholte Bewegung des einzigen Schauspielers symbolisch aufgeladen ist. Die feindliche Außenwelt besteht aus häßlich schnarrenden, klingelnden, dröhnenden Hamletmaschinen. Leuchtende Kreuze, Sinnbilder des Leidens, hängen von der Decke, ein nacktes Bettgestell wird zum glühenden Rost. Stofftiere und Puppen verkörpern den übermächtigen Vater, die geliebte Ophelia, die ehebrecherische Mutter. Erst schreibt Paolo Tonti mit einem Stift, dann mit der eigenen Scheiße, schließlich nuckelt er am Fläschchen. Der Rest ist Sabbern.
„Dieser Hamlet ist eklig. Dieser Hamlet ist langweilig“, heißt es zutreffend im Programm. Nach zwanzig Minuten brechen die ersten Zuschauer das Experiment ab. Nur hartgesottene Freunde des Konzepttheaters verharren im Saal des Hebbel- Theaters, bestärkt durch das Wissen, daß Regisseur Romeo Castellucci sich nicht nur Artauds „Theater der Grausamkeit“, sondern auch den Ideen Sacher-Masochs verschrieben hat. Er will den Zuschauern weh tun. Der Lohn dafür sind suggestive Bilder und ungewöhnliche Interpretationsvorschläge, auch wenn die Aufführung hoffnungslos überfrachtet ist. Am Ende leuchtet fromm ein Kreuz, geistlicher Gesang erklingt. Die verbliebenen Zuschauer nehmen die Hände von den Ohren und spenden den Peinigern dünnen, aber aufrichtigen Beifall. Miriam Hoffmeyer
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