■ Nachschlag: Die Stephen Petronio Company gastiert in der Akademie der Künste
Früher einmal hat Stephen Petronio auf der Bühne mit seinem Geliebten Michael Clark gevögelt. Aber das ist schon viele Jahre her. Mittlerweile ist der New Yorker Choreograph 40 Jahre alt, und auch wenn ihm lebenslänglich der Ruf des Enfant terrible anhängen wird: Wenn er sich heute in dem Solo „a 3“ in einer Hose präsentiert, die vorne aus Stoff und hinten aus durchsichtigem Plastik besteht, dann ist das eine Inszenierung schwulen Selbstverständnisses, aber keine Provokation. Petronio, der 1992 als Hardcore-Avantgarde-Choreograph mit Clark und Bill T. Jones an die Deutsche Oper eingeladen wurde, schuf komplexe und auf subtile Weise auch sehr schwule Tänze – Schocker stehen nicht auf dem Programm.
Nun hat die Akademie der Künste Petronio und seine aus sechs Tänzern und drei Tänzerinnen bestehende Company in ihre Hallen geladen und präsentiert seit langem wieder einen hochkarätigen Tanzabend. Und die Menschen tummeln sich an der Bar und auf dem Vorplatz wie zu besten Akademie-Zeiten. Gezeigt werden Petronios Solo und zwei längere Stücke. In „Lareigne“ von 1995 kommt Gegensätzlichstes zusammen: Zur harten, das Hirn durchsurfenden Musik von David Linton wird klassisch getanzt, mit teilweise unglaublicher Geschwindigkeit. Zwei unterschiedliche geistige Prinzipien, die geraden Linien des Balletts und eine Musik, die deren Entstehung allein aufgrund ihrer Beats kaum zulassen will, verschmelzen vor den Augen der Zuschauer: Strukturierte Entfesselung. Eine merkwürdige Spannung entsteht auf diese Weise, Petronios TänzerInnen scheinen in einem anderen Kosmos unterwegs zu sein, sehr weit weg. Manchmal unterbrechen sie ihren Geschwindigkeitsrausch, stehen wie paralysiert voreinander und scheinen zu kommunizieren, ohne sich zu berühren, sich gegenseitig einen kurzen Kick zu geben, um in neuen Umlaufbahnen weiterzutanzen.
In „Drawn that way“ entsteht auf diese Weise eine der schönsten Duette des Abends. Ein Liebesspiel ohne Berührung: Die Tänzer versinken manchmal fast ineinander und bleiben gleichzeitig auf eine narzißtische Weise allein. Der Andere, das ist der Traum des eigenen Begehrens, die synchronen Bewegungen, sie sind der Spiegel jeweils für das eigene Selbst. Michaela Schlagenwerth
Noch heute, 20 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10
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