■ Nachschlag: „Brecht Majakowski Hans Albers“ – ein Männerliederabend im BE
„Piloten ist nichts verboten“, sang die Lise noch den ganzen Abend über. Und hat Vollgas gegeben, und wollte vom Fleck weg um die Welt fliegen, wie's der „Fliegermarsch“ aus „F.P.1 antwortet nicht“ anempfiehlt. Wir sind dann nur bis Charlottenburg gekommen, aber das war auch so in Ordnung.
Wer's noch nicht gewußt hat, weiß es nach dem Liederabend „Brecht Majakowski Hans Albers“, zu dem Nino Sandow (Gesang) und Jens-Karsten Stoll (Klavier) ins Berliner Ensemble gebeten hatten. In dem Buben-Kosmos, den der Materialist Brecht und das Sentimentmonster Albers als gleichberechtigte Fixsterne beherrschen, gibt es keine Scheidewand. Wo die beiden nach Herzenslust mit Huren, Schiffen und Aeroplanen herumfuhrwerken und der Whisky in Strömen fließt, vermischen sich „linke und rechte“ Energien. Und weil in dieser Abenteuerlandschaft der Phantasie „vom Cap bis Couch-Behar“ der permanente Kriegszustand herrscht, wohnen die Soldaten auf den Kanonen, alle naselang gibt's Gelegenheit für tränenreiche Abschiede: „Die Bombe machte bumm, da fiel mein Johnny um, lebe wohl, lebe wohl...“
Es gehört zu den Vortrefflichkeiten des Abends, daß Nino Sandow vermeidet, schauspielerisch auf die Tube zu drücken. Hier und da kleine skandierende Gesten mit den Händen, ein wenig Zeichensprache mit erhobenem Arm, der Rest ist Stimme. Ist Ausdruck. Der Mann im Anzug überm nackten Oberkörper kontert die Albers-Sehnsucht mit metallisch-sonorem Dröhnen und rollt in den gewisperten Eisler- und Weill-Rhythmen das R wie die Sänger in den Tanzcafés der dreißiger Jahre. Sandows Vortrag verleiht Brechts kalkulierter Kaltschnäuzigkeit und Albers' wehem Fernsehnen erst ihre reale Kontur. Indem er den Brecht-Kopf in den Albers- Bauch kippt (und vice versa) entsteht ein Dritter: Old Shatterhand mit Pionierhalstuch. Die so gewonnene, sehr deutsche Herzenskraft geht mit Majakowski nach links in die Irre: „Mama, Schwestern und Genossen, verzeiht mir – das ist keine Art, aber ich habe keinen Ausweg mehr... Das Liebesboot / mußte am Dasein zerbrechen. / Bin quitt mit dem Leben...“, zitiert Sandow des Georgiers letzte Botschaft „An Alle“. Weil aber die sentimentale Lust auch nach dem (selbst)mörderischen Scheitern des linken Traums in Lederhosen übrigbleibt, gab's zum Abschied ein treibendes „La Paloma, ohe, einmal muß es vorbei sein...“, und die Lise befand, es sei „ein richtiger Männerabend“ gewesen. Irgendwie zu Recht. Nikolaus Merck
Wieder am 30.11., 4., 13.12., 19.30 Uhr, BE, Bertolt-Brecht-Platz
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