■ Nachschlag: „Torquato Tasso“ – vom Ensemble Orange und im Deutschen Theater
Zweimal Goethe, zweimal „Torquato Tasso“. In unmittelbarer Aufeinanderfolge präsentierten am Wochenende das Theater Orange und das Deutsche Theater ihre Versionen vom tragischen Scheitern des Künstlers in der Gesellschaft. Off- Bühne versus Staatstheater, die radikale Lesart gegen die repräsentative? Taugt dieser Gegensatz überhaupt noch, um die aktuellen Maßverhältnisse der Berliner Theaterlandschaft zu beschreiben? Die Gewißheit, daß die Kunst nach dem Brot geht, die Weltauffassung der Realpolitik unvereinbar ist mit der des idealen Künstlers, und Politik und Macht sich mit Vorliebe des Zierates der Kunst bedienen, bedarf doch nun wirklich keiner abermaligen Beglaubigung.
Gewiß, Goethes 1780 begonnenes und erst kurz vor Ausbruch der Französischen Revolution beendetes Drama enthält bedenkenswerte Sentenzen über das Mißverhältnis von Geist und Gefühl, Vernunft und Spontaneität, leidvoller Erfahrung im weimarschen Hof- und Staatsdienst abgewonnen: „So zwingt das Leben uns, zu scheinen, ja / Zu sein wie jene, die wir kühn und stolz / Verachten konnten...“ Und es enthält einen bis zum Schluß ungelösten Konflikt zwischen dem Dichter Tasso und dem Realpolitiker Antonio, den Goethe mit ebensoviel eigenem Recht ausstattete wie seinen Titelhelden. Die zu den Wegmarken des (west-)deutschen Nachkriegstheaters zählenden Inszenierungen von Peter Stein, 1969 in Bremen, und Claus Peymann, 1980 in Bochum, entschieden diesen offenen Ausgang, indem sie, Peymann radikaler als Stein, für den Künstler und gegen die Gesellschaft Partei nahmen. War damit nicht bereits alles gesagt? Das Programmheft des Theaters Orange deutet an, wohin die Reise gehen soll: „Tasso ... gibt den gequälten Künstler. Ihm wird, so scheint es, übel mitgespielt – aber er spielt mit. Indienstnahme und Dienstbarkeit sind nicht voneinander zu trennen.“
Zu sehen war davon so gut wie nichts. Allzu schnell wird klar, was die in Cellophan verpackte Künstlichkeit der Strohballen ohnehin schon signalisiert. Am Hofe herrscht Berührungsverbot. Mental wie physisch. Das Treiben ist sinnentleert gelangweilt, die Herrschaft des Herzogs zynisch, gelegentlich brutal, und der Dichterjüngling ein pathologischer Fall. Sein hemmungsloser Verfolgungswahn und sein prahlerisches Gehabe prallen an Antonios Fassade perfekt gemäßigten Temperamentes einfach ab. Der Konflikt entfällt mangels Masse. Über die zäh fließende Zeit helfen weder die Fähigkeit der Schauspieler, klassische Verse klar zu sprechen, noch gelegentliches Hantieren mit Spielzeugpistolen und Farbpampe hinweg. Trotz ausgiebigen Einsatzes bunter Bildwelten zwischen formal-abstrakt und der Mainzer Fassenacht goethelt es bis zur Verdrießlichkeit.
Anders bei Alexander Lang im Deutschen Theater. Der Garten des Lustschlosses Belriguardo ist ein heiter-künstliches Fest (Bühne und Kostüme: Marcel Keller), in dem Nashörner und Fasanen paradieren und Gärtner ihr Handwerk an künstlichem Rasen und üppigem Busch als-ob betreiben. Als-ob ist auch das Treiben der höfischen Gesellschaft: Als ob die Verse, doch allen wohlbekannt, nur noch einmal gemeinsam spielerisch memoriert würden. Vielleicht ließe sich daher auch der irritierende Tiefflug eines unsichtbar über die Szene donnernden Düsenjägers begreifen. Das Spiel zieht ins Heute, die Spaßgesellschaft inszeniert ihr Leben, wie es ihr gefällt. Zur letzten Vorstellung würden dann die Büsche und der Rasen wirklich geschoren. An diesem Hofe ist der etwas törichte Tasso (Götz Schubert) das Lieblingsspielzeug der beiden handfesten Leonores (Sophie von Kessel, Claudia Geisler). Ein Mannsbild zwar, das alle andern an Statur überragt, zugleich jedoch ein linkischer, näselnder Tor, der sich in Posen wirft, und mitgerissen vom eigenen Schwung über Tische und Stühle purzelt, dabei die allerlieblichsten Verse absondert. Klaus Ultzscht im Taka-Tuka-Land: überlebensgroß und durchaus unterhaltsam.
Weil Alexander Lang sich aber gar nicht für den Konflikt des Dichters mit dem Politiker interessiert, fällt auch hier das geistige Drama aus. Antonio (Guntram Brattia) bleibt blaß und ratlos vor dem leerlaufenden Furor des Dichterlings. Und weil der als Zirkusdirektor kostümierte Herzog, gerade so wie an den Damen, an den Versen des Poeten nur Interesse nimmt, soweit sie zur Ausstaffierung ihrer Luxuswelt nützlich sind, bemerkt dies allmählich auch Tasso selbst. Wobei er in seiner Verwirrung wider Erwarten einige Größe gewinnt. Am Ende erstarrt er zum Denkmal, das schnöde – wie der Rest des Gartens – von den Gärtnern zugedeckt wird.
Ein pfeildurchbohrter Heiliger Sebastian mit Goethe-Haupt vorm Portal verkündete im Deutschen Theater das Inszenierungsprogramm: der Dichter als selbststilisierter Märtyrer. Zugegeben, diese nüchterne Einschätzung der eigenen Rolle, soviel heilsame Selbstironie hatten wir dem Theater gar nicht zugetraut. Jammerschade, daß es dem Theater ebenso ging. Nikolaus Merck
Theater Orange, Torquato Tasso im Ballhaus Rixdorf, Kottbusser Damm 76, bis 29. Dezember, 20 Uhr. Im Deutschen Theater am 25. und 30. 12., 9. und 15. 1., 19.30 Uhr.
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