■ Nachschlag: Leider zuviel Rockschaffe: Baby Bird spielte ramponierte Songs im Loft
Bis vor kurzem war der englische Sänger Stephen Jones ein virtueller Star: Innerhalb von neun Monaten veröffentlichte er als Baby Bird vier CDs, die er ganz allein in seinem Wohnzimmer aufgenommen hatte. 80 wunderschöne Songs, aus denen eine große Liebe zu den kleinen Liedern der Popgeschichte spricht. Blues, Sixties-Garagenrock, kinderliedhafte Dinge aus der psychedelischen Ära, Agitprop-Fanfaren à la The Fall, viele Beatles-Anklänge, sehr seltsame Dinge knapp oberhalb der Verstörungsebene. Der den Produktionsbedingungen geschuldete Minimalismus sorgte für eine Klarheit, wie man sie lange nicht mehr gehört hatte. Mit Baby Bird ging man durchs Jahr und zwang alle Bekannten, sich seine CDs zu kaufen. Oder sie zumindest aufzunehmen. Mal dachte man bei seinen Songs an den ganz frühen David Bowie, mal an die verrückten Helden der Popmusik. Alles war so gegenwärtig wie Techno, so authentisch wie sonst nur der psychiatrisierte Popheld Daniel Johnston.
Klasse sahen die CDs aus: Auf „Fatherhood“ posierte der schmale, bleichhäutige Sänger mit Kugelbierbauch, auf „The Happiest Man Alive“ schaut er mit einem reinretuschierten wolligen silbergrauen Bart so weise aus wie Jerry Garcia; Jesuskreuze auf den Gläsern einer komischen Sonnenbrille, was dem Ganzen noch eine durchgedreht-satanische Note verlieh. In schönen Texten wurden die wichtigen Dinge der Welt thematisiert; seltsam lustig, zynisch zuweilen („Kiss your wife and fuck your child“) oder kitschig, vor allem auch sehr sehnsüchtig mit Hall und Tremolo in der Stimme: Mal erzählte er davon, wie er als Halbwüchsiger seinen Vater niederschlug („He went into a coma for three months – that was a bad thing“), mal ging's bluesig um Drogen und Bier, mal führte die Reimlust zu schönen Scherzen („like a head without a brain, like tracks, without a train, like a John without a Wayne – I don't need you“) oder Versen, die man sich an die innere Pinnwand heftete („You don't need to be clever / to enjoy the good weather“). Die Sonne ging auf, und man blinzelte ein bißchen teenagermäßig, wenn er sang: „I'm always happy; I'm never sad; the word is a wonderful place and I'm glad/ on every corner on every street / everyone I see I love to meet...“
Inzwischen ist Baby Bird eine Band und „You're Gorgeous“ ein Britpophit, der ständig im Radio rauf und runter gespielt wird. Sonntag abend war Baby Bird im Loft. Eine Band wie tausend andere; also eine langweilige „Rockschaffe“ (Winkler) mit den einschlägig arroganten Posen. Ein einziges Stück funktionierte als Rumlärmmusik – bezeichnenderweise der „Hate Song“.
Von jämmerlichem „Verrat an sich selbst“ sprach Katrin. Möglicherweise hat ihn auch seine Plattenfirma dazu gezwungen, seine Songs durch den Fleischwolf dämlicher Britpopgitarren zu drehen. Weil das die Leute angeblich so mögen. Man kennt sie ja, die Gesetze der Kapitalverwertung. Im Klo vom Loft steht der hübsche Satz: „50 Pfennig tun nicht weh / für ein sauberes WC.“ Detlef Kuhlbrodt
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