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■ NachschlagEin unmöglicher Abend – Ulrich Tukur und Band in der Bar jeder Vernunft

Würde man ihn nicht sofort erkennen, den blonden Hünen Ulrich Tukur, das schauspielerische und entertainende Universalgenie, man käme sich einen Moment lang vor wie bei den Epigonen der Helge-Schneider-Combo. Vier Herren im Anzug klimpern, zupfen und trommeln an und auf ihren Instrumenten, machen lustige Grimassen, reden dummes Zeug, das dann noch ganz witzig klingt, und spielen dazu recht passable, jazzige Tanzmusik. Ein Symposion zur „Deutschen Tanzmusik in Theorie und Praxis“ kündigt Tukur etwas aufgeregt an. Um „Höhepunkte des Quart-Sept-Moll-Akkords unter besonderer Berücksichtigung auf die erotische Wirkung auf Frauen mittleren Alters“ soll es gehen, auf „Interdependenzen zwischen Mundfäule und Erotik“ und das „Metronom als Taktgeber sexueller Entgleisung“. Die vier Männer auf der Bühne haben sich also der geschlechtlichen Triebe und der Auswirkungen auf den Tanzschlager der späten dreißiger und vierziger Jahre angenommen und ein Repertoire aus der Schellack-Sammlung wiederbelebt, einiges sogar selbst getextet und vertont.

Wo das Duo Schall & Rauch oder Max Raabe mit glattem Schmelz in der Stimme und größtmöglicher Authentizität agieren, ergeben sich Tukur & Co. der musikalischen Blödelei und dem tanzbaren Swing-Sound. Schlagzeuger „Dr.“ Robby Schuster ist wegen seiner etwas geringeren Körpergröße, zumal in direkter Nachbarschaft zum 2,08-m-Bassisten-Riesen „Dr.Dr.“ Günter, schon aus optischen Gründen bereits zum Komödianten prädestiniert. Immer wieder trommelt er sich ein Solo aus dem Leib, darf mit krächzender Stimme einen Halbsatz singen oder besser schreien, um dann wieder glückselig das Becken zu streicheln. „Dr.“ Ulrich Mayer, Gitarrist und Dozent am empirischen Institut für angewandte Tanzmusik (Tübingen), philosophiert über Badewannen-Erotik und ist als schwäbelnder Zeitgenosse an sich schon komisch. Im Tempo ist man sich im Zusammenspiel nicht immer einig, aber darüber wird offen auf der Bühne verhandelt, und man verhehlt nicht, daß Tukur ohne Moderationskärtchen noch mehr ins Schlingern geriete.

Das Konzept, das vermeintliche Symposion samt Wissenschaftsparadoxie und Verballhornung textlich dämlicher und folgerichtig stimmungsvoller Tanzschlager, erschöpft sich bis zur Halbzeit des Programms, die ausgelassene Spielfreude und der sichtliche Spaß der Akteure bei ihrer musikalischen wie albern-kabarettistischen Arbeit lassen aber schnell darüber hinwegblicken. Axel Schock

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