■ Nachschlag: Saburo Teshigawaras „Here To Here“ beim Tanz im August
Ein schriller Ton. Im Halbdunkel ein großer weißer Kasten, an dessen hinterer Wand regungslos ein Mann in Schwarz. Nichts geschieht – nur der Ton wird langsam lauter, hämmernd. Plötzlich windet und schüttelt der Mann seinen Körper in gleißendem Licht und mißt akkurat den Luftraum um sich herum aus. Sein Mund öffnet sich dabei wie zu einem lautlosen Schrei. Langsam senkt sich die Decke über ihm und droht ihn zu erdrücken. Am Ende ist sie nur aus leichtem Stoff, der den am Boden Hockenden umhüllt.
Ganz unendlich langsam schiebt sich schließlich eine Frau in den Raum, eine dunkle Fee von einem anderen Stern. Später wird sie zurückkehren mit einem Zauberstab, mit dem sie ein Orchester dirigiert, das es nicht gibt, mit dem sie Zeichen malt, die keiner lesen kann. Den Assoziationen ist viel Raum gelassen in Saburo Teshigawaras „Here To Here“, dem zweiten Stück des japanischen Choreographen beim Tanz im August. Fest steht nur: Hier gibt es keine Berührung zwischen Mann und Frau, keine Kommunikation mit dem anderen. Das Stück schreitet vom ohrenbetäubenden Lärm der Musik getrieben fort und gibt immer nur neue rätselhafte Bilder frei: Im Schattenriß erscheint riesig ein Wurzelmännchen mit Zottelhaar, das auch Worte formt – überdeutlich und aggressiv, aber umsonst. Nicht einmal Angst flößt die Gestalt den Tanzenden ein. Die synthetische Musik ist nun ein Rauschen und Zischen. Zukunftsangst und Technikfaszination scheinen hier nah beieinanderzuliegen. Das Geschehen bleibt karg und unnahbar, die Bühne aseptisch in strengem Schwarzweiß. Im Gegensatz zu seinem ersten auf dem Tanzfest gezeigten Stück „I was Real – Documents“, das mit vielen Tänzern und kontrastreichen Bildern aufwartete, ist „Here To Here“ eine mal eruptiv und schnell gespielte, mal starre Abfolge von Figuren. Alles konzentriert sich auf das Wesentliche: Raum, Licht, Bewegung. Teshigawara und seine langjährige Mitstreiterin Kei Miyata gelten als Außenseiter und Paradiesvögel der Tanzszene. An diesem Abend betören und quälen sie mit ihren Visionen einer fremden, kalten Welt. Irgendwann läßt der Tänzer abrupt den Arm fallen. Schlagartig wird es dunkel. Nur im Kopf braust es noch. Gudrun Müller Lütken
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