■ Nachschlag: „Das tägliche Leben“: Ein Marguerite-Duras-Abend im Prater
Wenn die anderen nur feiern! Unsereins sitzt derweil eng und unbequem am Längsrand des Pratersaales und bewacht das verlassene Wohnzimmer. Ein riesiges Tuch überschwemmt das Mobiliar – immerhin ein Zipfel vom Glück, denn es wallt von links herüber, vom Portal der großen Bühne, wo es als Vorhang entspringt. Dahinter Lachen, Kreischen und Gläserklingen. Lange Zeit nichts als das, bis sich eine Gestalt aus der seligen Unsichtbarkeit der Feiernden löst, ins Wohnzimmer heruntertapst, Licht macht und sich setzt.
„Das tägliche Leben“ offenbart sich bei Carolin Mylord (und in der Ausstattung von Gabriel Hermida) im Augenblick nach dem Fest. In der Spanne zwischen Schwips und Kater, zwischen dem hastigen Versuch, noch etwas Sex zu arrangieren, und dem komatösen Plumps ins eigene Bett. Ein hübscher, bildträchtiger Ansatz – den Mylord in ihrer Inszenierung im Prater aber dann doch nur als Dekoration benutzt. Denn eigentlich geht es ihr (ja, doch schon:) um weibliche Emanzipation. Um die Vielfalt dümmlicher Rollen, hinter denen Verzweiflung lauert, und natürlich: das Aufbegehren. Zur Schutzpatronin des Anliegens wurde Marguerite Duras erklärt, deren autobiographische Bemerkungen (Alkoholismus, Todessehnsucht, Einsamkeit) ein Plateau bilden, auf dem Mylord drei Schauspieler und vier –innen assoziative Gymnastik treiben läßt.
Frauenelend wird zu einem Quickie mißbraucht, Frauen werden böse bewitzelt, gebadet und zu Tode gebracht. Aber Frauen singen mit Männern auch a capella, tanzen Tango und blasen ihnen den Marsch. Daß es dabei auch zu Parolen aus einer Zeit kommt, als man selbstbewußte Mädchen noch „Frauenrechtlerin“ schalt, läßt sich wohl nicht vermeiden. Dennoch walten die Darsteller mit Charme (Wiebke Puls) und Professionalität (Annekathrin Bürger), zum Äußersten entschlossen (Peter René Lüdicke), tanzen (Debra Ferrari, Emiliano Gimenez, Kate Strong) und musizieren (John Henry Njenhus) so schön, wie es ihnen die hilflos sprunghafte, dräuend ernste oder freudlos kindische Regie gestattet. Grünlilien werden gegossen, Kleider getauscht, Texte doziert. Dann spielen alle Ertrinken oder Kasperle und kreischen so ausgelassen, daß es irgendwann nur noch um das Recht der Regisseurin auf Albernheit geht. Bitte, wenn sie nur hat. Gern würde man auch draußen warten. Petra Kohse
Wieder heute und morgen, 21 Uhr, Prater, Kastanienallee 7-9
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