piwik no script img

■ NachschlagLiebe und Rauferei: „Interrogation“ Tanztheater aus Israel im HdKdW

Von Kindern kennt man das: Eben noch rauften sie mit Lust, provozierten, attackierten, planten Rückzug und Überrumpelung, und plötzlich überwältigt sie das Gefühl der Ohnmacht, und sie laufen heulend Amok. Auf diesem risikoreichen Gelände zwischen wohlkalkuliertem Kräftemessen und dem abrupten Verlust der Kontrolle über das Spiel bewegt sich das Choreographenpaar Liat Dror und Nir Ben Gal schon lange mit der Wachheit von Minensuchern, die nichts so fürchten müssen wie eine vermeintliche Sicherheit der Routine. Die Tänze der israelischen Company schillern zwischen männerbündelnden Initiationsriten und aggressivem Liebeswerben. Eine Sozialisation, die zur ständigen Kampfbereitschaft auffordert, bildet den Hintergrund der 1.001 Versuche, den Körperpanzer zu durchbrechen und Nähe herzustellen.

Das gelingt der Gruppe auch in ihrer Produktion „Interrogation“ wieder mit Spannung, Selbstironie und einer teilweise berührenden Unmittelbarkeit. Zu Herzen gehen die Soli von Liat Dror, die sich mit einem weichen Kreisen der Hüften zwischen die Szenen schiebt. Sie scheint die anderen nicht zu sehen, wiegt sich mit geschlossenen Augen und wimmernden Tönen, als ob sie mit einer jenseitigen Welt kommuniziere. Ihre Hände, die erst in harmonischer Übereinstimmung mit dem Körper durch die Luft fahren, rasen schließlich durch den Raum, als ob sie mit Gespenstern kämpften.

Mit „Interrogation“ will die Company auf den politischen Stimmungsumschwung nach der Ermordung Rabins reagieren, mit der sich die Konturen der Feindbilder wieder verhärtet haben. Für Verhörszenen schlüpfen sie in die Rollen von Täter und Opfer und reizen deren Verhaltensklischees bis in eine absurde Übersteigerung aus. Ihr Ausgangspunkt war die Erfahrung, daß es oft allein von der Herkunft abhängt, ob man sich auf dieser oder jener Seite wiederfindet. Das tänzerische Rollenspiel wird zu einem Exorzismus, um Gewaltbereitschaft und Machthunger aus sich herauszuschleudern. Denn vielleicht eröffnet sich eine Chance, der Funktionalisierung und ideologischen Vereinnahmung zu entkommen, wenn man sich der Macht der Verführung zur Nachahmung bewußt wird. Katrin Bettina Müller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen