■ Nachschlag: „Peter Pain“ in der Tanzfabrik
Aus dem Nimmerland von Peter Pan fliegt man spätestens mit der Pubertät raus – denn die Zeit darf keine Macht haben auf der Insel unendlicher Kindheit. Im Nimmerland von Peter Pain dagegen regiert – wie der schmerzgewendete Name schon ahnen läßt – die Angst vor der Zeit und dem Alter. Auf diesem Terrain haben Dieter Heitkamp und Helge Musial ihr neues Tanzstück angesiedelt: Da Heitkamp zu den Gründern der Tanzfabrik vor fast zwei Jahrzehnten gehört und im verflixten 40. Jahr steht, war durchaus eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Knirschen der Knochen und dem Kriseln der Identität zu erwarten. Aber herausgekommen ist eher eine Karikatur, die sich nicht traut, ihr Thema wirklich ernst zu nehmen, und unentschieden zwischen Klischees schwuler Sehnsuchtsbilder und deren Parodie pendelt. So reduziert sich, kaum anders als in vielen Boulevardkomödien, das Problem des Alterns auf die schwindende sexuelle Anziehungskraft.
Helge Musial darf einmal mehr den junggebliebenen Verführer geben, der so selbstverliebt tanzt, wie er nur kann. Er ist das Alter ego Peter Pains, ein geschmeidiges Traumbild athletischer Kraft, das sich trotz aller Tricks nicht festhalten läßt. Eckig mit den Armen rudernd, tolpatschig, mit furchterregenden Sprüngen und harten Landungen, in denen die Erinnerung an die verlorene Anmut schmerzhaft nachbebt, hastet Peter Pain ihm nach. Das Duo wird zum Quartett mit Unterstützung einer somnambul die roten Beine hochwerfenden Gestalt mit grünen Haaren (Ingo Reulecke), die auf irgendeinem Trip unterwegs zu sein scheint, und von Karim Sebbar im Gladiatorenrock. Seine Rolle soll mit der Fee Thinker Bell (aus Peter Pan) verwandt sein, erinnert aber eher an die Römer von Asterix. Das ist komisch irgendwie, aber auch daneben.
Frühere Stücke der Tanzfabrik zeichnete ein spezieller Heitkamp-Bewegungs-Witz aus, der nicht zuletzt aus seiner Vergangenheit als Sportstudent und aus der Beobachtung männlicher Körperrituale erwuchs. Auch jetzt markieren die Tänzer das Hintereinanderlaufenden Hunde der Fußballer oder das In-der-Luft-Laufen der Basketballer beim Sprung. Dennoch scheint der größte Teil der Bewegung nicht mehr aus der Erfahrung alltäglicher Befindlichkeit entwickelt. So entsteht Sinn nicht mehr aus dem Tanz selbst, sondern wird den eingefahrenen Stilisierungen nachträglich angeheftet.
Die Kindergeschichte von Peter Pan endet mit der Erkenntnis, daß Veränderung notwendig ist, will man nicht in Wiederholung verblöden. Darauf deutet auch der Schluß des Tanzstückes; es bleibt also Hoffnung auf weitere Entwicklung. Katrin Bettina Müller
5.–7., 12.–14., 19.–21.12., 20.30 Uhr, Tanzfabrik Berlin, Möckernstr. 68
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