■ Nachschlag: „Eine Weihnachtsgeschichte“ nach Dickens vom Theater Morgenstern
Die Bühne verströmt den maroden Zauber abgetakelter Prächtigkeit. Grün schimmert die von goldgerahmten Folienfenstern durchbrochene Kulisse, eine eisblumenbeschlagene Glastür markiert verheißungsvoll die Pforte zur Welt – und deutet an, daß sie verschlossen ist. Hinter ihr und den Fenstern ziehen in der „Weihnachtsgeschichte“ des Kinder- und Jugendtheaters Morgenstern nurmehr unheilvolle Schatten vorüber.
Allein um das rote Sesselungetüm in der Bühnenmitte kreist die Wirklichkeit. In seine staubige Pracht versenkt der Wucherer Scrooge (schön wandlungsfähig: Rainer Scharenberg) seine Schätze und seinen von Geiz und Bosheit krumm gewordenen Leib: Mit grimmig verzerrtem Gesicht schwebt er gleich einem bockigen, frühzeitig ergrauten Kind mit den Füßen einen halben Meter über dem Boden. Über den Nöten der Menschen stehend ist er zu mickrig für das Leben.
Charles Dickens 1852 zum erstenmal veröffentlichtes „Weihnachtslied“ ist eine pathetische Fabel von der wundersamen Erwärmung eines kalten Herzens zur Winterzeit, der es nicht um Glaubwürdigkeit geht, sondern allein um das gute Ende. So auch dem Theater Morgenstern, das in seiner sechsten Produktion mit Puppen und Menschen nach Versuchen mit Ad de Bont oder Paul Maar zum erstenmal auf einen alten Stoff zurückgreift: Die Figuren werden vorgeführt, die Gefühle mit groben Pinselstrichen aufgetragen. In Farben, die stets zwei bis drei Nuancen zu grell, zu hell oder zu dunkel sind, und oft gerade darum stimmen.
Vier Geister suchen Scrooge am Weihnachtsabend heim. Als erster sein Ex-Kompagnon Marley. Wenn dieser mit girrendem Singsang hereinschwebt, sieht er aus wie eine übergroße, helle Fledermaus, und die Kinder gruseln sich. Zusammen mit den Bildern der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnachten, deren Umrisse hinter den erleuchteten Scheiben vorbeiflirren, ergibt das ganze einen hübschen Jahrmarktsbudenzauber. Wenn nur die drei Geister nicht wären, die eben diese Bilder bringen!
Deren seltsam gestelzte, unmotiviert aufgeregten Tänze nerven auf Dauer. Was schade ist, denn solch aufgesetzter Geheimnistümelei hätte es eigentlich nicht bedurft. Abgesehen von den schön anzuschauenden, bunt aufgetürmten Kostümen hätte die schwarzweiße Wirklichkeit der guten und bösen Menschen aus der Geisterwelt auch ruhigere Zwischentöne vertragen. Sabine Leucht
Weitere Vorstellungen an verschiedenen Orten bis 4. 1., Termine zu erfragen unter Telefon: 434 71 13
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