■ Nachschlag: Bilinguales von Claudius Hagemeister in der Galerie C4
Das schöne Leben ist eigentlich ganz einfach und wird begleitet von Samba-House zum Beispiel. Umgeben von netten Freunden plaudert man gutgelaunt in angenehmen Parterreräumen in Berlin- Mitte und schaut stolz zur schönen Freundin rüber, die stolz zurückschaut und in einem Bauchladen das eigene Buch verkauft. Wenn man dann noch gleich dreißig wird, kann man sich für einen Augenblick zurücklehnen und sagen, es war okay bislang.
Am Vortag zur schlechtbeleumdeten Lebensmitte also stellte Claudius Hagemeister in der Galerie C4 in der Charitéstraße sein Erstlingsbuch vor. In den letzten Jahren war der schlanke, kurzhaarige Dichter im wollbraunen Bohemeanzug durch Auftritte bei diversen Poetry Slams bekannt geworden. Doch eigentlich fühlt er sich nicht als „Slammer“. Ihm gehe es eher um den Sprachrhythmus als um inhaltistische Dinge, sagt er. Deshalb hat er seinen Dichterkollegen Nick Grindell mitgebracht. Beide hatten sich im Poetry Café in der Lehrter Straße kennengelernt.
Grindell hatte die Nachdichtungen von Hagemeisters minimalistischer Poème en Prose besorgt. Auf einem Tisch standen lecker Buchstabensuppe und Buchstabengebäck am Rande. Die Dichterfreunde dagegen standen auf wackligen Selterflaschenkästen in riesigen Fenstern wie Heiligenfiguren und verlasen sprechgewandt wie BBC ihre Sachen; erst die englische Nachdichtung, dann das deutsche Original.
Zehn Absätze. Im Vortrag: Poème-en-Prose-Pop (sozusagen). „Das Buch ist sehr dünn“ und dauert eine Viertelstunde, wenn man es zweisprachig hintereinander liest. – „Du bist ja auch sehr dünn“, witzelt ein Kulturquerulant und kichert zottelmösenbärtig: „Sex!“, als Hagemeister Nummer „sechs“ ankündigt. Am Ende sprechen alle (die die Bücher im Bauchladen der schönen Freundin gekauft haben) Nummer 10 als bilinguales Gebetsgemurmel mit: „die träume der biber – bollwerke aus affenbotbäumen, die fugen mit silikon gefüllt – gerannen zu dämmen aus eternitplatten. die blickdichten häute der fruchtblasen von walen über die schultern geworfen stehen sie mit stiefeln aus lehm dellen in die gummiböden ihrer bauten und warten auf wärmende brisen, auf ein zeichen, daß die tropen nach norden driften.“ Mit Feuerzeugen schwenkt das Publikum. „Wahrscheinlich gehört eine gewisse Verschrobenheit dazu, damit was anfangen zu können“, hatte Hagemeister behauptet. Ganz toll! Alles Gute zum Geburtstag! Detlef Kuhlbrodt
claudius hagemeister: „absätze/paragraphs“, mit nachdichtungen von nick grindell, bei: „das labor“, bergmannstraße 8, 10961 berlin
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