■ Nachschlag: „Die ganz begreifliche Angst vor Schlägen“ im Schloßparktheater
Ein Mann versucht, sich eine Zigarette anzuzünden, und plötzlich brennt sein Hut. Dann öffnet er eine Tür, und kein Mensch, sondern ein Vogel Strauß steht davor. Später wandert ein Schreibtisch durch den Raum. Ein Mann, der sich gerade aufgehängt hat, empfängt noch Besucher, während er langsam erstickt. Eine Frau zieht mit dem Lippenstift nicht ihre Lippen, sondern die Brustwarzen nach. Ab und zu läuft ein Buster Keaton ähnliches Wesen in Zeitlupe durch den Raum und tut allerlei betont Seltsames. Und am Ende quält ein Ehepaar seinen Gast zu Tode und setzt dabei das ganze Haus in Brand. In all dem Theaternebel, der dabei entstanden ist, sieht man zunächst die sich verbeugenden Schauspieler kaum, was irgendwie auch symbolhaft für die ganze Veranstaltung ist.
Sieben kurze Tragödien von Georges Courteline, einem Vaudeville-Meister der Pariser Belle Époque, sieben Dramolette aus dem Bürgerleben. Doch weil der Bürger als industrielles Serienprodukt eben längst nicht mehr tragödienfähig ist, ist auch sein Unglück bloß noch lächerlich. Courteline, der mit scharfem Blick und spitzer Feder die Zeitgenossen in seinen Minidramen skizzierte, war fast ein Vorläufer des absurden Theaters. Denn hinter dem Gelächter über das Unglück verbirgt sich der Schrecken über die Ahnungslosigkeit der Helden, mit der sie im Abgrund ihres anonymen Schicksals verschwinden. Bei Regisseur Schottenberg ist von Abgrund keine Spur. Seine Figuren kommen bloß bis an die Bühnenrampe.
Angeklebte Bärte, ausgestopfte Bäuche und heruntergelassene Hosen, zappelnde und wild grimassierende Darsteller – manche von ihnen wirken wie Tänzer, die sich bloß bewegen, aber nicht spielen können – machen aus Courtelines Aberwitz ein eher laues Vergnügen. Hier herrscht bloß das Chaos der Klamotte, und bei den Figuren eine kaum begreifliche Angst vor Substanz. Im Programmheft schreibt Regisseur Schottenberg über Courteline, und in dem Text kommen lauter vielversprechende Worte vor, zum Beispiel Farce, mythisch, Anarchisten, Grenzbesessene, Kafka und absurd. Davon hätte man gern auch was auf der Bühne gesehen. Esther Slevogt
Schloßparktheater, Steglitz, letzte Vorstellung am 3. März
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen