■ Nachschlag: Monika Maron auf den Spuren ihrer Familiengeschichte im DHM
Vor vier Jahren las Monika Maron im Naturhistorischen Museum, direkt neben dem Dinosaurier. In ihrem Roman „Animal Triste“ (1996) avancierte das Urzeitskelett dann zur stattlichen Allegorie für Erinnern und Vergessen – ging es doch um eine uralte Frau, die sich aus einer fiktiven, grauen Zukunft mühsam an die Nachwendegegenwart zu erinnern suchte. Dem Museum und dem mühsamen Hervorholen von Vergessenem als Erzählbewegung bleibt Monika Maron auch in ihrem neuen Werk treu: Für die Lesung aus dem noch unfertigen Text mit dem Arbeitstitel „Schillerpromenade 41“ wählte sie das Deutsche Historische Museum als Schauplatz. Da saß sie nun zwischen Adenauerbüste und FDJ-Wimpel und blickte auf einen schwarzrotgoldnen Grenzpfahl aus Beton.
„Kein Roman!“ sei es, betonte Maron. Vielmehr geht es um eine persönliche Recherche, um die Erforschung der eigenen Familiengeschichte bis in die polnische Großelternzeit. Der jüdische Großvater stammt noch aus einer anderen Welt, geboren 1879 in Ostrow. Er wurde auf den Namen Schloma getauft und 1886 mit siebenjähriger Verspätung den Behörden als Neugeborener gemeldet. Später nannte er sich Paul und löste sich von seinem Judentum, um die katholische Josefa zu heiraten, die Großmutter der Erzählerin.
Das Dritte Reich überlebten sie nicht, so daß Maron (Jahrgang 1941) sie nur von Fotos kennt. Die Annäherung gelingt erst über die Erinnerungen der Mutter Hella, 1915 in Berlin geboren und in der Wohnung in der Schillerpromenade in Rixdorf aufgewachsen. Sie rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt, so daß ein Drei-Generationen-Portrait entsteht und ganz nebenbei die Rekonstruktion deutscher Geschichte und eines Lebens in der Arbeiterbewegung.
Maron operiert mit dem Luhmannschen Begriff der „Wendepunkte“: „entscheidende Momente, in denen etwas geschieht, was geschehen konnte, aber nicht geschehen mußte, beginnend mit der Geburt“. Daß Hella Kommunistin wurde, ist für Maron Ergebnis eines solchen Wendepunkts. Denn was wäre geschehen, wenn sie nicht aus der sozialdemokratischen SAJ ausgeschlossen worden wäre, weil sie in einem kommunistischen Balalaikaorchester mitspielte? Dann, so endet der Text, wäre „alles, alles anders gekommen“, und Monika Maron wäre vielleicht, statt als Tochter einer Funktionärsfamilie in der DDR aufzuwachsen, im Adenauerdeutschland groß geworden. Jörg Magenau
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