■ Nachschlag: Brecht persönlich: Georgette Dee in der Bar jeder Vernunft
Helen Vita und Otto Sander tun es, Nina Hagen und Meret Becker tun es, Georgette Dee eben auch: Geburtstagsständchen singen für den großen B.B. Doch wenn sie einen Abend lang (fast) nur Brecht singt, ist zwar jede Menge Brecht drin, aber doch wird immer wieder Dee daraus. Werktreue ist für sie eine rein rhetorische Frage. Ob der Mond über Alabama, die Schönheit von Soho oder die Ballade von der sexuellen Hörigkeit – Georgette Dee liefert keine wohlgefälligen Interpretationen, sondern macht sie sich schamlos, einfühlsam oder einfach ganz rotzig zu eigen.
Vieles ist wie gewohnt: Die souverän und virtuose Begleitung durch Terry Truck, der wie stets bescheiden und zurückhaltend am Flügel agiert, wie auch Dees mit impulsiver Leidenschaft zelebrierte große Gesten oder das lässig-zotige Plaudern. Manches vermißt man: Die unbändige Verausgabung; das Spiel mit den Extremen, das sich letztlich genau kalkuliert und kontrolliert in feinen Nuancen von inniger Hingabe zu rasender Ekstase hinbewegt. Nicht nur, daß Georgette Dee durch eine Erkältung spürbar geschwächt ist. Brecht dient ihr mehr zur melancholischen Selbstreflexion. Wo sie früher Koketterie mit der Zerbrechlichkeit und der trotzigen Stärke des „Jetzt erst recht“ betrieb, zeigt sich nun auf berührende Weise, daß all die Trauer und Enttäuschung echter sind, als man es gern wahrhaben möchte. Von Selbstmitleid keine Spur. Dafür aber ein Mensch, der seine Wunden zeigt, die Augen schließt, sich Verse von Brecht leiht und davon singt. Und immer wieder den Bogen kriegt, von dieser Art Lebensschmerz und den ganz großen Dingen des Lebens sich hinabzuschwingen zu den ganz banalen und darum meist um so schöneren absurden Geschichten des Alltags. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“, singt Georgette, zermanscht ihre Geburtstagstorte für den großen B.B. und verteilt sie unter ihren Fans. Axel Schock
5., 11.–15.2., 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße
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