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■ NachschlagBeschwingte Grausamkeiten: „Lulu“ im Maxim Gorki Theater

Am Ende war die Stimmung zweigeteilt. Die einen brüllten vor Begeisterung, und Rosen regneten auf Franca Kastein, die Uwe Eric Laufenbergs Lulu im Maxim Gorki Theater war – ganz das wilde, schöne Tier, das sich Frank Wedekind vor fast hundert Jahren erschrieben hat. Die anderen buhten lauthals und unzufrieden.

Es fängt mit dem bösen Ende an. Als der Vorhang aufgeht, ist Lulu längst erledigt. Sie taumelt wie ein Junkie, sieht auch so aus: ein Wrack, ein Elendsmensch. Sie lebt in einem abgewrackten Haus, holt sich die Freier von der Straße und ist von ein paar abgerissenen Gestalten umgeben, die auf versifften Matratzen liegen. Einer von ihnen ist Alwa Schön. Irgendwann geht Lulu weg, den nächsten Freier aufzugabeln. Der letzte wird der Lustmörder sein, den sie sich wünschte. Doch was als das erotische Erlebnis schlechthin erträumt war, ist bloß eine profane Grausamkeit. Der Kerl, der es tut, ebenso erbärmlich und verklemmt wie die anderen Männer, die Lulu verfielen. Doch das ist vier Stunden später. Jetzt wird erst noch einmal die ganze Geschichte aufgerollt, im Rückblick, als Alptraum Alwas.

Der große Raum (Bühne: Christoph Schubiger) bekommt seine alte, gründerzeitliche Pracht zurück. Auch Lulu ist jetzt wieder stark und schön, die Männer allerdings meist alt und lächerlich. Erst Dr. Goll (Albert Hetterle), ein Lustgreis im Lodenmantel, den der Schlag trifft, als er seine Frau mit dem Maler Schwarz (Frank Seppeler) ertappt. Der wird dann Gatte Nummer zwei, aber Lulu ist ihn bald leid, weil er bloß geil und überhaupt nicht sinnlich ist. Dann kommt wieder der alte Dr. Schön ins Spiel. Schwarz bringt sich um, und Schön (Manfred Karge) – steif wie ein Geschöpf aus Dr. Frankensteins Labor – wird später von Lulu fast aus Versehen erschossen. Bis hier ist der Abend ziemlich stark, auch wegen der drastischen erotischen Szenen, die manchem Mann im Parkett Schweißperlen auf die Stirn trieben. (Die Roben, die Jessica Karge für Lulu erdachte, ließen dagegen so manche Dame im prominent besetzten Premierenpublikum vor Neid erblassen.)

Doch dann wird's leider ziemlich müde. Lulu ist mit Alwa und der lesbischen Gräfin Geschwitz (Monika Lennartz) ins Swinging London geflohen. Bevor das dicke Ende kommt, das wir ja schon am Anfang angedeutet sahen, wird dort viel gewirbelt und getobt. Börsenmakler und Bordellkunden sprechen dabei meistens englisch wie in Wedekinds Urfassung, leider weiß man nicht, warum. So bleibt nur Franca Kastein im Gedächtnis haften. Esther Slevogt

„Lulu“, 12. und 13.4., Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2

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