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■ NachschlagMehr trüb als astral: Van Morrison in der Freilichtbühne Wuhlheide

Der Abend ist noch nicht allzu alt. Das Bier ist schon alle. Schon eine ganze Zeit vorher, irgendwo zwischen erster Demo und erstem Kind, zwischen Soziologiestudium und Verbeamtung, zwischen Interrail- und Toskana-Urlaub, zwischen „Astral Weeks“ (1968) und „The Philosophers' Stone“ (1998) ist offensichtlich die Euphorie verlorengegangen. Es gab viel graues Haar zu sehen in der Wuhlheide. Einiges davon war zu Zöpfen gebunden. Es war nicht nur darüber grau geworden, auf einen Auftritt von Van Morrison in Berlin zu warten. Nun bestätigte man sich gegenseitig, daß man noch da ist.

Auf der Bühne steht ein schwarzer Anzug mit einem dicken Kopf darauf. Auf dem Kopf sitzen ein schwarzer Hut und Sonnenbrille. Aus dem Kopf singt es. Wenn es nichts zu singen gibt, steht der schwarze Anzug meist stocksteif da. Dann merkt man, daß der Anzug noch am Leben ist, nur daran, daß die schlapp herunterhängenden Hände manchmal im Takt zucken. Die Sonne weigert sich beharrlich unterzugehen. Es gibt kein Bier mehr.

Das Warten war zu lange. All die Jahre hat man die Platten gehört, sich selbst beste Konzerte zusammengestellt, die persönlichen Hymnen erforscht, Charts aufgestellt und frühe Jahre, mittlere Phase und Spätwerk diskutiert. All die Jahre hat man Morrison singen gehört. Nun sieht man ihn singen. Wenn man die Augen schließt, ist der Unterschied nicht so gewaltig. Wenn man sie öffnet, merkt man, daß es immer noch hell ist. Dann ist man ziemlich enttäuscht.

Die siebenköpfige Band ist gut. Natürlich ist die Band gut. Die legt auch mal schnell eine Version von „Moondance“ hin. Der soll man anhören, daß dieser Song fast 30 Jahre alt ist und Zehntausende Male aufgeführt und eigentlich nicht mehr spielbar. Das hört sich dann auch so an. Und natürlich auch anders, irgendwie gleichzeitig locker und anspruchsvoll. Man darf nur nicht hoffen, daß hier eine allgemeine Magie entsteht. Das sind Profis auf der Bühne. Das Publikum ist auf eine komische Art abgelenkt, während die Musik daddelt. Haufenweise Menschen starren in die Gegend, als scheinen sie auf jemanden zu warten, der doch noch Bier vorbeibringt.

Langsam, ganz langsam beginnt es dann zu dämmern, und auch der Rhythmus, jener vorsichtige Celtic Swing, scheint sich im rechten Knie festzusetzen. Saxophonistin Candy Dulfer kriegt von Morrison einen dicken Schmatz auf die Backe, und alles scheint gut zu werden. Dann nuschelt Morrison irgend etwas, und weg ist er. Dann geht auch die Band. Schon verkündet der Veranstalter, daß es keine Zugaben geben wird, und entschuldigt sich dafür, daß das „mit dem Bier nicht so geklappt hat“. Die Mißfallenskundgebungen sind bei der zweiten Durchsage eindeutig lauter. Thomas Winkler

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