■ Nachschlag: Sex, crime and hope: Neue Dramatik aus den USA in der Baracke gelesen
Allerhand Hölle allüberall, Getöte, Mißbrauch, Geficke. Die neue amerikanische Dramatik, die sich die Baracke am Wochenende in szenischen Lesungen auf die Bühne geholt hat, zeigte viel Düsternis auf dem Erdenrund am Schicksal einzelner. Die Hölle sind dabei immer noch die anderen. Deswegen braucht es eine Wumme. Jederzeit schußbereit. In Keith Reddins „Der letzte Schrei“ wird das Kinderlied „Zehn kleine Negerlein... da waren's nur noch neun“ in den amerikanischen Alltag verlegt. In einem Gewaltreigen treffen sich Figuren in bekannter Short-Cuts-Manier im Zeichen der Waffe: Warren erschießt seinen Geschäftsmann Justin und bedauert, „total mit Gehirn eingesaut“ zu sein. Tim ersticht seine Affäre Annabel, weil sie ihn unter Druck setzt. Sidney killt Tenchel, „denn die Welt ist ein Irrenhaus voller kranker Ficker“. In Rages Stück ist die Gerechtigkeit zur Selbstjustiz verkommen. Es gilt, sich zu schützen vor Lärm und Chaos. Die Pistole löst Probleme schneller als eine Therapie, Liebe läßt sich herbeischießen.
Perfidere Gewalt zeigt Paula Vogels Lolitageschichte „Fahrstunde mit Onkel Peck“. In des Onkels Auto findet Püppi Verständnis und Faszination für Gänge und Buicks, während der Onkel Köder auslegt für den Fang der Lippen seiner Begehrten. Das Stück spielt mit Zeitsprüngen, „fährt“ in verschiedene Entwicklungsstufen, in Lüste und Früste der Pubertät. Püppi glaubt an das „Ding Familie“, auch wenn sie dort nur des Onkels Lustobjekt und ein Teil des Familienpsychogramms ist. Die Zuschauer erleben ein Pingpong von Abhängigkeiten und Mißbrauch. Die Regisseurin will einen Dialog jenseits aller Correctness eröffnen und legt Püppi die Frage nach dem Mißbrauch ihres Mißbrauchers in den Mund.
Fragen über Fragen auch in August Bakers „Evil Dead III“, einer absurden Bühnen-Talkshow, in der Horrorfilm und Krimi ineinandergezappt sind. Ein beigesellter Drummer macht das Stück zu Rhythm & Text. Tom hat seiner Freundin Susan in einer romantischen Hütte im Wald geköpft. Kommissar 1 und 2 erreichen kein Geständnis, aber die Erkenntnis eines Ödipus-Konflikts im Komissariat. Hier wird experimentiert mit den Genres und mit Surrealem, mit dem Austausch von Tätern und Opfern. Alle drei Stücke verbinden das Thema der Alltagsgewalt in Kombination mit bissiger Satire. Nicht ohne Glauben an die Möglichkeit, durch diesen Abstand in die Gesellschaft eingreifen zu können. Michael Neubauer
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