■ Nachschlag: Berliner Schnauze: Die Ärzte spielten auf der Parkbühne in der Wuhlheide
Es ist wie auf einer Silvesterparty auf dem platten Land, irgendwann Mitte der 80er Jahre. Irgendwo tief im Wald eine Grillhütte, darin klamme Couchgarnituren vom Sperrmüll und ein Kasten Bier. Dazu „Eisgekühlter Bommerlunder“ und „Zu spät“ im batteriebetriebenen und folglich leiernden Kassettenrecorder. Um halb eins dann Papa, der einen holen kam, weil es mit dem Mofa zu weit war.
Naßkalt ist es bei den Ärzten im Wald der Wuhlheide, vollendet veredelte Grillhüttenatmosphäre also, und auch die Teenies sehen immer noch so aus wie Anno Tobak. Nur, daß Papa nicht abholen kommt, sondern mitgekommen ist und mit Mama weiter hinten Currywurst mit Pommes mampft, während die hysterische vierzehnjährige Tochter Arm in Arm mit der allerbesten Freundin ihre Runden dreht. Großes Gekreisch dann, als die beste Band der Welt endlich die Bühne betritt. Wie alt die inzwischen sein mögen? Und was Sahnie wohl jetzt so macht?
Es ist immer dasselbe Lied. Eine Handvoll Schlager mit Big- Band-Bläsern, Beach-Boys-Bah-Bah, viel Pubertierendenhumor, Proll und Punk, aber nie so viel Punk, daß man vergißt, wie behütet die Jungs, was für Musterschüler sie waren und daß neuerdings sogar der oberärztliche Schädelsammler und Selbstdekorateur Bela B. vom Whiskey abgefallen und zur Vollmilch konvertiert ist. Wo er doch dem Suff seinen Gunter-Gabriel-Sound zu verdanken hat.
Da helfen auch keine Witze darüber, daß Farin Urlaub sich aus den zugeworfenen BHs Tee kochen wird: Harmlos sind die Ärzte, „scharf“ Farins Gags, „Berliner Schnauze“ hat er, ohne Scheiß, ey, Ehrenwort. Und verpaßt darüber mit schönster Absicht, daß sich die Zeiten geändert haben – Männer sind heute eher selten Schweine. Aber natürlich wäre es verkaufstechnisch alles andere als clever gewesen, über die Nöte des gekränkten Manns zu singen, der nach einer netten Nacht aus der Wohnung seiner Herzdame fliegt.
Man muß sie einfach liebhaben, trotzdem. Zum Knuddeln besonders, als sie die ganz ollen Kamellen spielen, sorglose Kinderlieder der Kohl-Ära wie zum Beispiel „Der lustige Astronaut“ oder „Mädchen“. Auch ihr größter Lausbubenstolz, die Instrumentalversion von „Geschwisterliebe“ zum Mitsingen, macht wieder Spaß. Ob Farin damals eine Kusine bei der Bundesprüfstelle hatte?
Und immer noch fehlt eins, das „Satisfaction“ der Ärzte. Es fehlt sogar, als schon „Westerland“ dran ist. Das dürfen sie nicht auslassen, denkt man immer wieder nervös. Als ahnten sie es, spielen sie es erst ganz am Schluß: „Ich weiß, was dir an ihm gefällt“, singt Farin endlich, „er ist arm, und ich hab' Geld“. Bleibt alles anders, muß man da wohl noch mal erleichtert denken. Susanne Messmer
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