Nachruf: Von der Werkbank zur Stadtguerilla

Ilse Schwipper ist tot. Die APO-Aktivistin saß acht Jahre ohne rechtskräftiges Urteil wegen des Mordes an Ulrich Schmücker in Haft.

Sie gehörte zu den wenigen Arbeiterinnen unter den militanten Linken der 70er-Jahre. Ilse Schwipper wurde Anfang der 60er-Jahre als VW-Arbeiterin in Wolfsburg politisiert. Damals engagierte sie sich für bessere Lebensverhältnisse der italienischen ArbeitsmigrantInnen und schaffte es bei den Jungsozialisten zur stellvertretenden Vorsitzenden. Ihre sozialdemokratische Laufbahn endete, als sie 1970 mit 18 weiteren Jusos wegen Wahlunterstützung für die DKP ausgeschlossen wurde.

Damals hatte der politische Aufbruch der APO auch die VW-Stadt erreicht, Ilse Schwipper war eine der ProtagonistInnen. "Diese Frau hat den Geist der aufbegehrenden Studentenbewegung nach Wolfsburg getragen", schrieben unlängst die Wolfsburger Nachrichten.

Schwipper zog mit ihren drei Kindern in eine linke Kommune. Die AktivistInnen demonstrierten gegen den Vietnamkrieg und Neonazis und begannen die Texte der RAF und der Bewegung 2. Juni zu lesen. Zu Letzterer fühlten sich die Wolfsburger AktivistInnen hingezogen, blieben aber eine eigenständige Gruppe.

Nach Anschlägen auf einen VW-Zug und auf eine Wolfsburger Schulaula, in der eine NPD-Versammlung stattfinden sollte, saß Ilse Schwipper von 1971 bis 1973 in Vechta in Isolationshaft. Bundesweite Schlagzeilen machte die Kommune Bäckergasse, wie die Wolfsburger Gruppe nach ihrer Adresse genannt wurde, im August 1974. Die Justiz machte Schwipper und einige Mitbewohner für den Tod des Studenten Ulrich Schmücker verantwortlich, der im Grunewald erschossen aufgefunden wurde. Zuvor waren Schmückers Kontakte zum Verfassungsschutz bekannt geworden.

Schwipper saß über acht Jahre ohne rechtskräftiges Urteil im Gefängnis. Ihre lebenslängliche Verurteilung im Jahre 1976 war wegen Verfahrensfehlern aufgehoben worden. Das Verfahren wurde 1991 eingestellt.

Bis heute ist die Rolle der Geheimdienste bei Schmückers Tod Gegenstand von Spekulationen. Mehrere Bücher sind darüber geschrieben worden. "Der Lockvogel" von Stefan Aust wurde am bekanntesten. "Oberflächlich und stark fehlerhaft", kommentierte Schwipper den Bestseller. Sie lehnte es immer ab, sich zum "Fall Schmücker" zu äußern.

Aus gesundheitlichen Gründen war Schwipper 1982 aus der Haft entlassen worden. Seitdem lebte sie in Berlin, wo sie sich in der anarcho-feministischen Gruppe Las Loccas engagierte. In den letzten Jahren unterstützte Schwipper politische Gefangenen in der Türkei, die sich mit einem Hungerstreik gegen die Einführung der Isolationshaft wehrten. Im Sommer 2005 beteiligte sie sich an einem mehrtägigen Solidaritätshungerstreik von Gefangenenhilfsgruppen auf dem Alexanderplatz.

In einem Beitrag für ein Buch setzte sich Schwipper mit den psychischen und physischen Folgen ihrer über sechsjährigen Isolationshaft auseinander. Noch bis vor wenigen Monaten berichtete sie auf Veranstaltungen über die linke Geschichte, die sie ein Stück mitgeprägt hat. Auch an der Wolfsburger Lokalpolitik zeigte Schwipper bis zum Schluss Interesse. In einem Interview mit der Wolfsburger Allgemeinen kommentierte sie die geplante Umbenennung der Bäckergasse: "So verschwindet jetzt auch dieser Teil meines Lebens."

Am vergangenen Donnerstag starb Schwipper im Alter von 70 Jahren in einem Berliner Hospiz.

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