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NachrufEin bürgerlicher Schwuler

■ Nur in Frankreich ein Kultautor gewesen: Yves Navarre starb in Paris

Sein Tod ist den Intelligenzblättern unserer Republik eine kleine Meldung in dürren Worten wert. Kein Wunder, denn Yves Navarre, der sich dieser Tage in seiner Pariser Wohnung 53jährig das Leben nahm, war eine eminent französische Figur, verkörperte ein gesellschaftsbezogenes Verständnis von Literatur. Der Ehrgeiz, die literarische Avantgarde durch ausgepichte Artifizialitäten voranzutreiben, lag ihm fern. Schon deshalb hatte er schlechte Karten in Deutschland, wo von seinen über dreißig Büchern nur vier erhältlich sind, weil hier selbst von einem Romancier erwartet wird, daß er „radikal“ mit dem „Tradierten“ bricht, neue „Bewußtseinshorizonte aufreißt“ etc.

In einem zivilisierten Land wie Frankreich ist man bescheidener. Literatur ist dort vor allem anderen ein Beitrag zur Verständigung über die Wirklichkeit. Das setzt voraus, daß sie lesbar ist. Und lesbar schrieb der gebürtige Gascogner, der – auch hierin ganz traditionell französisch – zwischen Metropole und ländlicher Heimat pendelte, auch im literarischen Salon das Bodenständige nicht verleugnete. Keineswegs genierte es ihn, wenn die Buchhandlungen ihn mit denselben Worten anpriesen, mit denen man auch alljährlich den neuen Beaujolais anzeigte: „Le nouveau Navarre est arrivé.“

Seine Form war der Gesellschafts- oder Familienroman, seit den großen Realisten des 19. Jahrhunderts in Frankreich das Medium, um die Sonde der Bestandsaufnahme in den Gesellschaftskörper einzulassen. Ein bürgerlicher Autor also. Doch bei Navarre hat das Bürgertum Schlagseite. Im Mittelpunkt seiner Epopöen stehen Homosexuelle, die sich, wie Navarre selber auch, an der Bourgeoisie reiben. Einige brechen aus („Le Loukoums“, 1973, deutsch: „Loukoum“), manche finden einen Modus vivendi („Le petit galopin de nos corps“, 1977), wieder andere verleugnen sich, was in die Katastrophe führt; „Le Jardin d'acclimatation“ (deutsch: „Vorbeugender Eingriff“) heißt so eine Geschichte von prekärer Anpassung.

Für sie erhielt Navarre 1980 den Prix Goncourt. Das war in der ausgehenden Ära Giscard d'Estaing ein Signal. Den französischen Homosexuellen, ohnehin in der dortigen Kulturszene in einer Weise präsent, daß den Deutschen die Augen übergehen müßten, wurde damit quasi offiziell bestätigt, daß sie gesellschaftsfähig waren, was sich zu Beginn der Ära Mitterrand durch die Berufung von Homosexuellen in hohe Staatsämter noch steigern sollte. Zu dieser Akzeptanz hatten Schriftsteller wie Navarre beigetragen. Anders als deutsche schwule Autoren gerierten sie sich nicht als schrille Pausenclowns, standen nicht in Opposition zur Gesellschaft, sondern strebten nach Einbindung, ja Repräsentanz. Autoren wie Yves Navarre, Dominique Fernandez oder Michel Tournier, um nur die bekanntesten zu nennen, waren gebildete Leute, spielten nicht den Bürgerschreck. Auch sie kämpften für die Rechte der Homosexuellen, dafür, daß man sie wahrnahm, daß man mit ihnen rechnete, aber – und das ist ihr Verdienst – sie betrieben eine sanfte Revolution.

Dennoch war es in den letzten Jahren still geworden um Navarre. Der Kultautor der Siebziger und frühen Achtziger konnte zwar mit seinem Aids-Roman „Ce sont amis que vent emporte“ 1991 noch einmal für größere Aufmerksamkeit sorgen, was ihn bewog, das kanadische Exil zu verlassen, in das er sich aus Enttäuschung über die zunehmende Gleichgültigkeit seines Publikums zurückgezogen hatte. Doch auch die Verleihung des Preises der Académie Française für sein Gesamtwerk 1992 konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß seine Zeit die Aufbruchjahre der schwulen Bewegung gewesen waren, die durch Aids zwar nicht gestoppt wurde, doch eine andere Richtung erhalten hat. Der Tod so vieler Freunde wird ein übriges getan haben.

Navarre, so scheint es, wollte nicht mehr leben. Wer ihn vor einigen Monaten bei seinem Berlin-Besuch sprach, spürte seine Verzweiflung. Er fühlte sich vernachlässigt. Auch die Versicherung, daß viele von uns als Zwanzigjährige mit seinen Büchern gelebt haben, konnte ihn nicht mehr erfreuen. Tilman Krause

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