piwik no script img

NachrufZum Tod von Gerd Widmer

■ Als engagierter Rechtsanwalt in der „Roten Hilfe“ half er Gefangenen und Mietern und organisierte Demonstrationen

Gerhard Widmer ist am 26. Juli 1995 in Berlin im Alter von 48 Jahren zu Hause gestorben. Im letzten Herbst hatte er erfahren, daß er an Krebs erkrankt war. Er hat in Berlin als Rechtsanwalt und Notar gearbeitet. Zu seinen Mandanten gehörten alternative Projekte, auch die taz.

Gerd Widmer ist Teil der Geschichte der undogmatischen Linken in Westberlin. Im Jahr 1970 war er als Referendar nach Berlin gekommen. Schon während des Studiums in München hatte er sich in der Studentenbewegung engagiert. In seiner Wohngemeinschaft war auch Fritz Teufel polizeilich gemeldet. Das brachte Widmer den ersten praktischen Kontakt mit der Justiz anläßlich mehrerer Hausdurchsuchungen.

In Berlin arbeitete er bei der Roten Hilfe West-Berlin der undogmatischen Linken mit Sitz im „Sozialistischen Zentrum“ in der Stephanstraße. Die RH betreute die politischen Gefangenen aus den militanten Gruppen der Nach-APO-Zeit, dem „Blues“, der „Bewegung 2. Juni“ und die aus der RAF. Sie organisierte finanzielle Unterstützung, Besuche, Zeitungen und Bücher für die Gefangenen, deren Verteidigung und Prozeßbeobachtung. Gerd Widmer gehörte zum Kern der Organisation und war der Verantwortliche für Finanzen. Er war auch beteiligt am Ermittlungsausschuß nach der Erschießung Georg von Rauchs im Jahr 1971.

Die RH war mehr als eine Gefangenenhilfsorganisation, viel mehr. Sie war nach der Auflösung des SDS 1969 über Jahre die Organisation der undogmatischen Neuen Linken, der APO, die sich nicht einer der K-Gruppen angeschlossen hatte. Sie organisierte die großen Demonstrationen Anfang der siebziger Jahre, sie gab eine Zeitschrift heraus. In und mit der Roten Hilfe wurden die politischen Diskussionen geführt über den Fortgang der gesellschaftlichen Umwälzung in der BRD, über die Politik und Aktionen der RAF und über die Revolutionierung der Gefängnisse. Die RH organisierte Stadtteilarbeit in West- Berlin, Kinderläden und gab Broschüren heraus, die Mieter oder Sozialhilfeempfänger über ihre Rechte informierten. Gerd Widmer arbeitete an den Mieterbroschüren mit. Als er 1974 Rechtsanwalt wurde, blieb sein Spezialgebiet die Vertretung von Mietern.

Für Polizei und Staatsschutz war diese „Rote Hilfe“ ein Rätsel. Mit Spitzeln und Durchsuchungen von Wohnungen und des „Sozialistischen Zentrums“ versuchten sie herauszufinden, wie das funktionierte, daß innerhalb weniger Tage Demonstrationen mit 5.000 Leuten aus der Straße waren – und wer dahintersteckte. Jetzt können sie es wissen: Einer war Gerd Widmer. Hans-Christian Ströbele

Foto: privat

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen