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Nachruf auf linken KabarettistenHildebrandt entwischt

Leidenschaftlich war Dieter Hildebrandt – leidenschaftlich unzufrieden mit den Verhältnissen in Deutschland. Er begnügte sich nie mit dem Witz allein.

Der „Scheibenwischer“ und Dieter Hildebrandt gehörten zusammen. Bild: ap

Dieter Hildebrandt sagte einmal: „Als ich Kabarettist wurde, wusste ich nicht, dass das ein Berufsstand ist.“ Im Nachkriegsdeutschland war er Mitbegründer des Münchener Kabaretts „Die Lach- und Schießgesellschaft“. Deutschland hatte damals nur zwei Programme – in Schwarz-Weiß. „Die Lach- und Schießgesellschaft“ wurde seit den 60er Jahren zum Straßenfeger. Vorher war es eine Strafe, wenn ich mit dem kleinen Bruder zu Hause „einhüten“ musste. Jetzt war es ein Vergnügen.

In seinem Schwabinger Kleintheater arbeitete Hildebrandt im kongenialen Team mit Regisseur Sammy Drechsel und Hausautor Klaus Peter Schreiner. Zu den Premieren und TV-Aufzeichnungen setzte sich die gescholtene Politik in die erste Reihe, gefiel sich und beklatschte Pointen und Akteure.

Hildebrandt blieb jahrzehntelang Ensemblemitglied. Wenn er danach Lesungen hatte, waren das immer fulminante Kabarettauftritte. Hildebrandt schrieb Kabaretttexte, er verfasste Drehbücher, arbeitete als Schauspieler (u. a. „Kir Royal“), und er hatte eigene TV-Sendungen, erst „Notizen aus der Provinz“ (ZDF), dann „Scheibenwischer“ (ARD). Zensiert wurde Hildebrandt in beiden Sendern, ein Adelstitel ehrenhalber. Aus der Sendung zur Atomkatastrophe in Tschernobyl schaltete sich der Bayrische Rundfunk komplett aus.

Leidenschaftlich war er, leidenschaftlich unzufrieden mit den Verhältnissen in Deutschland, bis zu seinem Ende. Dabei war er kein unzufriedener Nörgler, sondern jemand, der mit großem Spaß analysierte.

Leicht arrogant gelangweilt

Unvergessen sind die rasend gespielten Szenen mit seinem niederrheinischen Gegenüber Hanns-Dieter Hüsch im „Scheibenwischer“. Er stritt öffentlich über die Nachfolger in seiner Sendung und entzog dem Sender die Namensrechte.

Dieter Hildebrandt

Wir als junge Linke waren in den 80ern vom „Scheibenwischer“ oft leicht arrogant gelangweilt. Viel zu viele Erklärungen machte dieser Hildebrandt angeblich. Ganz falsch! Ein Theoretiker des Kabaretts hat gesagt: „Kabarett ist das Spiel mit dem erworbenen Wissenszusammenhang des Publikums.“ Hildebrandt erkannte, dass er informieren musste. Plötzlich hatte er ja nicht mehr nur das Publikum, das Eintritt zahlte. Plötzlich saßen da Millionen Zuschauer, mit verschiedensten Voraussetzungen. Also musste er oft erst die Information geben, bevor er zur Pointe kommen konnte und zur Kritik, zur Forderung.

Er war ein Mann mit großer Bildung. Vor allem Herzensbildung. Und genug Leidenschaften auch außerhalb des Kabaretts. Fast unbemerkt setzte er in der Buchreihe „Kleine Philosophie der Passionen“ dem Tennis ein literarisches Denkmal. Zum Ende seiner Fußballlaufbahn („FC Schmiere“) im Alter von über 50 Jahren sagte er einmal: „Da kommt dieser junge Mann mit dem Ball auf mich zu. Und das war schon falsch – das der den Ball hatte. Und dann läuft der mit dem Ball an mir vorbei. Einfach so! Der hätte doch wenigstens einen Trick machen können. Da hab ich aufgehört!“

Herausragende Bühnentexte

Einige seiner Nachfolger im Kabarett begnügen sich allein mit dem Witz, oft genug nur über Person und Äußeres. Das war Hildebrandt nie genug. Die literarische Qualität von Kabaretttexten, den Soli und Dialogen, wird oft übersehen. Doch sind diese „Miniaturen“ oft herausragende Bühnentexte. Dieter Hildebrandt sollte nach etlichen anderen Würdigungen im Frühjahr 2014 mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet werden. Zu spät.

Nun wird er im Himmel seinen alten Kumpels Sammy Drechsel, Hanns Dieter Hüsch und Matthias Beltz berichten: „Das war schon falsch, dass ich den Krebs hatte.“

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7 Kommentare

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  • 6G
    6175 (Profil gelöscht)

    Ich würde 20 Euro zur Aufforderung zahlen, wenn die taz solche pseudo-ironischen Titel nach Jahren weglassen würde. Es waren zum Glück nicht "wir" höhnisch-ironisch "in den 80ern", wie der Artikel sagt. Das waren immer schon die Ellbogenleute. Die sind heute viel mehr, und wer solche Titel mag, hat dann solche Gespräche.

     

    - Meine Mutter ist heut nacht gestorben...

    - Okääääääääää....( kurz aufschauend vom i-phone5C in orange)

    Dieter Hildebrandt fehlt.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Ich habe nie über ihn und das politische Kabarett lachen können. Genau genommen war er sogar schädlich für jede Bewegung die sich der wirklich-wahrhaftigen Vernunft verpflichtet sieht. Denn besonders die akademischen Wasserträger und Verfestiger des Systems dieser "Demokratie" durch leichtfertiges Kreuzchen auf dem Blankoscheck, gehen in diese INSTITUTIONEN, um darüber entspannend zu lachen, was sie für und mit den "Treuhändern" und "Experten" zur zynischen Realität in "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" gestalten.

  • PH
    Peter Haller

    @Ganesha

    Ich glaube, dass er über solch Kleingeistigkeit immer schon gestanden hat und es auch weiterhin tun wird.

    • @Peter Haller:

      @Peter Haller: Mit großer Wahrscheinlichkeit ja... aber ich stelle mir grad amüsiert vor, wie er mit breitem Grinsen und etwas leiser Stimme (seine Bühnentechnik "hinter vorgehaltener Hand") genau diese Nichtachtung zur Pointe macht. Es würde passen.

  • Das war ja klar, oder? Gerade eben holte ich mir, wie der Name schon sagt, meinen üblichen Imbiß am Imbißwagen, der uns allmorgendlich an meinem Arbeitsplatz besucht. Dieser verkauft neben allerhand zu schnabulieren auch die Erzeugnisse der Merkelpresse ("Bild" und "SportBild"). Und was sah ich nicht als Aufmacher? Richtig! :-)

     

    Ich bin mir sicher, Dieter Hildebrandt sitzt jetzt grad im Walhalla der Satiriker, stößt mit einem Hörnchen Met mit Matthias Beltz, Sammy Drechsel, Lore und Kay Lorentz und natürlich Hans Dieter Hüsch an und amüsiert sich königlich über die Nichtachtung seines Ablebens durch eins seiner verdienten Angriffsziele.

  • W
    Was älter

    "…Nun wird er im Himmel seinen alten Kumpels Sammy Drechsel, Hanns Dieter Hüsch und Matthias Beltz berichten: „Das war schon falsch, dass ich den Krebs hatte.“ - ja,

     

    und fragen: " wo ist Wolfgang? - ah raucht auf dem Balkon! - der Himmel ist auch nicht mehr,

    was er mal war - na, möge sein Joint auch hier nie ausgehen."

  • Dass der psychiatrische Gutachter bei RAF-Prozessen in Stuttgart-Stammheim in Auschwitz die Gehirne von Sinti und Romakindern seziert hatte, sagte Dieter Hildebrandt in einer Ausgabe des "Scheibenwischer". Sonst erfährt man sowas nämlich nicht.