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Nachruf auf den Dramatiker Harold PinterOhne Altersmilde

Ein genaues Ohr für Misstöne zeichnet die Dramen von Harold Pinter aus, der im Alter politisch etwas verbissen wurde. Ein Nachruf auf den an Weihnachten gestorbenen Autor.

Harold Pinter: gut als engagierter Mitbürger, besser als Dramatiker. Bild: reuters

Als ihm im Jahr 2005 der Literaturnobelpreis verliehen wurde, waren die meisten Kritiker überrascht. Harold Pinter? Warum jetzt?, fragten sie. Und wie immer fragten sie: Warum nicht Philip Roth? Auch die Verlage schienen, wie so oft, völlig überrumpelt, in diesem Herbst 2005 waren die meisten Ausgaben seiner Stücke vergriffen. Daran hat sich nicht viel geändert. Heute beispielsweise ist auf Deutsch ungefähr so viel von Pinter lieferbar wie von Paul Heyse, dem fast völlig unbekannten deutschen Nobelpreisträger von 1910.

Das Literaturnobelpreiskomitee hat sich in den letzten Jahren des Öfteren diskreditiert, häufiger allerdings wegen der Äußerungen seines blasierten Sprechers als wegen seiner Entscheidungen. Mit Dario Fo, Jelinek, Lessing, Le Clezio oder eben Pinter erwies sich die Jury zwar als eine voll und ganz auf Europa fixierte; die Autorinnen und Autoren aber, denen die Auszeichnung zugestanden wurde, lohnten sich allemal zu entdecken. Oder wiederzuentdecken.

Denn alle Obengenannten waren, bis auf Elfriede Jelinek, sogar in ihren Sprachheimatländern bereits weithin vergessen. Gleichwohl sind ihre literarischen Leistungen unbestritten. Der stärkste Einwand, der sich also gegen Pinters Werk, insbesondere sein Frühwerk, vorbringen ließ, war, dass es heutzutage aus der Mode gekommen sei.

Ein scheeler Vorwurf. Zumal der Nobelpreis den Stücken von Pinter zu einem Comeback verhalf; im englischen Sprachraum wird er wieder vermehrt an den großen Bühnen gespielt, und die Kritik wie das Publikum zeigen sich in der Regel sehr begeistert.

Pinter, der am Heiligabend im Alter von 78 Jahren nach langer Krankheit starb, war völlig dem Schauspiel zugetan. Er schrieb wenig Lyrik, sein Prosawerk besteht aus einem Roman, "The Dwarfs" ("Die Zwerge"), wenigen literarischen und essayistischen Texten, letztere vor allem zu Theaterfragen. In der Hauptsache verfasste er Stücke, daneben war er als Schauspieler und Regisseur tätig, hinzu kommt noch eine Unzahl von Drehbüchern.

Pinters Stücke leben von der Sprache, von den Misstönen, die sich im Dialog ergeben. Sein wohl bekanntestes Stück, "The Caretaker" ("Der Hausmeister"), zeigt das Verhältnis dreier Leute, die immer wieder neue Bündnisse schließen, denen jedoch nicht zu trauen ist. Mit diesem Stück gelang dem vorher eher erfolglosen Pinter 1960 der Durchbruch in London. "The Caretaker" war das Stück der Saison und konnte sich sogar gegen eine zeitgleich laufende Ionesco-Inszenierung des großen Orson Welles durchsetzen.

Danach wurden auch seine früheren Stücke, etwa "The Birthday Party" ("Die Geburtstagsfeier"), erfolgreich aufgeführt. Pinters dramatische Kunst verdankt, wie er immer wieder betonte, Beckett sehr viel, allerdings ist Pinter nicht dem absurden Theater zuzurechnen, seine Figuren waren vielleicht seltsam, doch fanden seine Stücke nicht in einem Experimentalraum statt, sondern in realistischen Räumen. Der Dramatiker beschäftigte sich zeit seines Lebens mit den gesellschaftlichen Beziehungen, Selbst spätere Stücke wie "Mountain Language" ("Bergsprache") von 1988, das er nach einer Reise in die Kurdengebiete in der Türkei schrieb, haben keinen politischen Appellcharakter.

Er war kein Vertreter der engagierten Literatur, doch war Pinter stets ein engagierter Mitbürger. Hatte er in den Fünfzigerjahren immer wieder betont, dass Kunst nicht zu entscheiden habe, was wahr und falsch sei, da ja ein Ding oder eine Aussage sowohl wahr als auch falsch sein könne, so ließ er dies später lediglich für den Künstler gelten. Als Bürger eines Landes aber müsse er fragen, was richtig oder falsch sei. "Wir müssen genau beobachten, was in unserem Namen unternommen wird."

Als junger Mann und Kind jüdischer Eltern musste der Londoner Pinter erleben, wie die britischen Faschisten um Sir Oswald Mosley - unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg - erhebliche Zustimmung für ihre antisemitischen Parolen fanden und militant gegen ihre jüdischen Kritiker auftraten. Aus diesen Erfahrungen schöpfte er sein politisches Engagement, das in seinen letzten Lebensjahren eher zu- als abnahm; Pinter kannte keine Altersmilde. Er verurteilte das Nato-Bombardement auf Serbien, ebenso den Krieg in Afghanistan und Irak und steigerte sich dabei in einen fast bizarren Antiamerikanismus hinein.

Großbritannien sah er vom "Idioten" Blair moralisch diskreditiert. Wie alle Mahner und Warner wurde er rechthaberisch und verbissen, schließlich zog er sogar noch seine Kunst in seine Kämpfe hinein und schrieb einige ziemlich plumpe politische Gedichte.

Nicht jeder Autor ist zum politischen Denker geboren. Unter seinen Ausfällen litt sein literarisches Ansehen, gleichwohl aber war und ist Pinters dramatische Kunst eine Bereicherung für das Theater der Welt. Sie wird bleiben. Denn das, was bleibt, stiften nicht die engagierten Mitbürger, sondern die Dichter.

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3 Kommentare

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  • DG
    Dirk Gober

    "und steigerte sich dabei in einen fast bizarren Antiamerikanismus hinein"

    Das ausgerechnet in der definitv bizarren taz...

  • S
    Shefmeister

    Rechthaberisch, verbissen, fast bizarrer Antiamerikanismus .. ich frage mich, ob ein taz-Nachruf auf Salman Rushdie oder Martin Amis, die Bush und seinen Neokonservativen seit 2001 einen moralischen Blankoscheck ausstellen, ähnlich formuliert worden wäre.

  • B
    birdboy

    Nunja, liebe taz, nicht alle politisch denkenden Menschen schaffen es mit so einer Leichtig- und Lockerheit, schon nach dreißig Jahren jene Altersmilde anzusetzen, die der Autor des obigen Artikels beim 78-jährig Verstorbenen vermisst. Und nicht alle wappnen sich mit einem solch un-"bizarren" Antiamerikanismus, der anscheinend genehm bzw. genehmigt ist, wie es Deine Redaktion anscheinend tut. Nicht alle an den politischen Verhältnissen Leidenden tun dies - leiden - aus ästhetischen Gründen...