Nachruf auf Ulrich Reineking: Der Meister der Ironie

Der Journalist und Kabarettist Ulrich Reineking ist am Wochenende verstorben. Neben seinen Auftritten auf zahlreichen Kleinkunstbühnen arbeitete Reineking bei der Schaumburger Zeitung und schrieb seit 1991 "Urdrüs wahre Kolumne" in der taz.

Urdrü: ein volksnaher Linker und gern mal deftig, besonders angesichts seiner Lieblingsfeinde. Bild: Tobias Landmann

Nein, sprach das Herz, das mache ich nun nicht mehr mit. Es hatte Jahrzehnte lang den gewaltigen Körper versorgt, das Tingelleben eines reisenden Kabarettisten ertragen, ein dornenreiches Privatleben überlebt - und nun das: Zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik fällt das Land wieder in die Hände der Schmierlappen und Strizzis aus dem liberalen Gesockslager! Das Herz, das just so alt war wie die Republik, versagte seinen Dienst. Als wollte er uns die unangebrachte Feierei, wenigstens im Nachhinein, gründlich vermiesen, starb Ulrich Reineking, genannt Urdrü, vergangenes Wochenende. Seine letzte Pointe.

Sie kennen den Mann nicht? Dann sind Sie ein Wurm, ein Wicht, eine Monade; jedenfalls gehören Sie nicht zum Volk. Denn Reineking war stets, was die Sozis immer weniger hinkriegen und sie demnächst vor der Fünf-Prozent-Hürde scheuen lässt: ein volksnaher Linker. Kurden, Antifa, 1.Mai-Marschierer, Anarchos, DKPisten, Kriegsdienstgegner - sie alle konnten an seine Tür klopfen und um einen Auftritt bitten. Er trat immer wieder auf. Nicht als Prediger (bzw.: das auch), sondern als Kabarettist.

Sein Humor war dabei nicht von der feinsten Sorte. Das konnte man regelmäßig in Bremen erleben, wenn Urdrü zum "Kabarett der literarischen Gewalttätigkeiten" in die Galerie des Westens lud. Erwischte er irgendwo Aufgeblasenheit, Pharisäertum oder seine lebenslangen Todfeinde (FDP, ADAC, Lehrer), schlug er zu, dass es klatschte. Das Volk liebte ihn dafür. Diese dauerhafte Zuwendung schützte den Mann auch vor der Kündigung: Neunmalkluge Redakteure versuchten gelegentlich, seine über Jahrzehnte laufenden Kolumnen endlich mal einzustellen. War nicht zu machen. Zu beliebt, der Mann.

Ja die Kolumnen. "Urdrüs wahre Kolumne" in der taz nord; "Spitzenmäßig" im Bremer Veranstaltungskalender Mix; wir hören aus seiner ersten und letzten Heimat, dem Schaumburger Land rund um Rinteln, dass er auch "Guten Morgen", "Frühstücksei" und "Blauer Montag" schrieb.

Wo er ging und stand, errichtete er seine Wörtersäulen, und die Kolumnen waren für die Leute wie das tägliche Brot: regelmäßig, in gewohnter Qualität, nicht besonders aufregend, aber den Hunger stillend. Hier nach einem bisschen Meinung und einem bisschen Häme. Die große Politik wurde zuverlässig vom Sockel geschubst, gleichzeitig der kleine Mann von der Straße zum didaktisch wertvollen Parsprototo geadelt. Und wehe, wenn eine Kolumne ausfiel, weil der Kolumnist seinen anfälligen Leib mal wieder in die Klinik bringen musste - dann hagelte es Proteste.

Wie groß die Liebe zum Kolumnisten war, möge das Statement eines seiner Opfer belegen, einer Tischlersgattin, deren Betrieb einmal von Reineking verhöhnt wurde. "Auch wir von der Tischlerei hatten die Ehre, Gegenstand eines Artikels von ,ur' zu werden. Anschließend traute ich mich eine Woche kaum mehr, unter Menschen zu gehen. Zu begeistert und schwungvoll war der Bericht von Herrn Reineking. Aber noch heute sind wir stolz auf diesen Artikel und wir werden immer (...) darauf angesprochen. Wenn in unserem Büro auch das Chaos herrscht - den säuberlich laminierten Bericht von Herrn Reineking finden wir jederzeit sofort! Meistens brauchte man auch bei den ,regulären' Artikeln gar nicht auf das Verfasserkürzel zu schauen, man wusste einfach aufgrund des ganz eigenen Schreibstils, dass hier ein (der!) Meister der Ironie und der Beobachtungsgabe am Werk war. Wir danken noch einmal für jedes einzelne Frühstücks-Ei und verbeugen uns vor dem Redakteur, der eine ganz eigene Klasse darstellte." Man würde Urdrü ja zu gern wenigstens postum den Titel "Säulenheiliger" ans abgewetzte Revers heften, hätte sein Lebenswandel nur etwas heiliger gewirkt. Außerdem sind Säulenheilige Asketen; ein solcher war Urdrü gewiss nicht.

Er liebte weite Teile des Lebens, und weite Teile des Lebens liebten ihn zurück. Großkopferte, selbst aus Politik, Geldadel und Feuilleton suchten seine Nähe. Schöne Frauen umschwirrten ihn. Vielleicht auch deshalb, weil er zuletzt stets unergründlich war. Hinter dem Linken verbarg sich ein Kenner des Geschäfts mit dem Glücksspiel, dahinter ein großer Freund des Catchens, der gern auch mal den Ringsprecher gab. Und nicht zuletzt - oder doch zuletzt? - war Urdrü als studierter Theologe, Psychologe und Philosoph auch letzten Fragen gegenüber aufgeschlossen. In Rinteln war er als Kirchgänger bekannt, sein Kollege von der Schaumburg-Lippischen Landeszeitung weiß sogar, dass Urdrü ("verantwortlich für Sonderthemen") an den Himmel glaubte.

Wie sieht der Himmel eines Kabarettisten aus? Ohne Erdenschwere. Ohne Herzklabastern. Ohne Mord und Totschlag. Ansonsten exakt so wie hier. Sonst fände der Kabarettist ja nichts, worüber er spotten kann. Ich wünsche Urdrü so einen Himmel. Außerdem sage ich danke. Und bin traurig.

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