Nachruf auf Sam Nujoma: Namibias Patriarch ist tot
Er führte die Befreiungsbewegung Swapo und war Namibias erster Präsident nach der Unabhängigkeit. Nun ist Sam Nujoma mit 95 Jahren gestorben.
![Sam Nujoma, hier bei einem Wahlkampfauftritt in Namibia 2004 Sam Nujoma, hier bei einem Wahlkampfauftritt in Namibia 2004](https://taz.de/picture/7518263/14/0297-1.jpeg)
Sam Nujoma verkörpert die Geschichte des Befreiungskampfes und der Unabhängigkeit Namibias. Sein Tod im Alter von 95 Jahren markiert das Ende einer Ära. Er verstarb am Samstagabend 8. Februar kurz vor Mitternacht in einer Klinik in der Hauptstadt Windhoek, wie die Regierung am Sonntag früh mitteilte. „Die Grundfeste der Republik Namibia sind erschüttert“, erklärte Präsident Nangalo Mbumba und rief Staatstrauer aus.
Samuel (Sam) Shafishuna („Blitz“) Daniel Nujoma wurde am 12. Mai 1929 in Etunda bei Okahao im Norden Namibias als ältestes von elf Kindern geboren. Damals war Namibia noch Südwestafrika – die ehemalige deutsche Kolonie, die seit 1920 von Südafrika verwaltet wurde. In seiner Kindheit kümmerte er sich um seine Geschwister, das Vieh der Familie und die Bewirtschaftung des Landes. Mit 17 Jahren wurde er Vertragsarbeiter in der Hafenstadt Walvis Bay. Ab 1949 arbeitete er als Reinigungskraft bei South African Railways in Windhoek. Für die meisten seiner Altersgenossen war die Arbeit als Vertragsarbeiter in der Siedlerwirtschaft der einzige Ausweg aus der Subsistenzlandwirtschaft.
1959 war er Mitbegründer der Ovamboland People's Organisation, die ein neues Kapitel des organisierten Widerstands gegen die Siedlerkolonialherrschaft einläutete. Zu dieser Zeit lebten die afrikanischen Einwohner der Hauptstadt Windhoek hauptsächlich in der sogenannten Old Location („Alte Werft“). Diese lag in der Nähe des Stadtzentrums, während die Vertragsarbeiter in einem separaten Gebiet untergebracht waren. Ihre Bewohner sollten in eine weit entfernte neue Township namens Katutura umgesiedelt werden. Am 10. Dezember 1959 eskalierten Proteste gegen die Zwangsumsiedlung. Die Polizei eröffnete das Feuer, mindestens 11 Menschen wurden getötet und 44 schwer verletzt. Dies war ein Wendepunkt.
Nujoma ging im Februar 1960 ins Exil. Im April 1960 wurde die Ovamboland People's Organisation zur South West Africa People's Organisation (Swapo und Nujoma ihr erster Präsident. 1967 ergriff die Swapo den bewaffneten Widerstand gegen die südafrikanische Besatzung. Ein mehr als 20 Jahre andauernder Krieg kostete Tausende Menschenleben. Obwohl Nujoma nie für den Kampf ausgebildet wurde, posierte er gerne als militärischer Anführer. Ein Zeugnis dafür ist die Statue des „unbekannten Soldaten“ auf dem Heroes Acre, die Nujoma nachempfunden ist.
Versöhnung in einer gespaltenen Gesellschaft
Als Namibia am 21. März 1990 unabhängig wurde, ernannte die Verfassungsgebende Versammlung des Landes Sam Nujoma zum Staatsoberhaupt. Seine erste Amtszeit (1990–1995) war geprägt von Bemühungen, in einer tief gespaltenen Siedlerkolonialgesellschaft die Versöhnung zu fördern. Er akzeptierte einen verfassungsrechtlich verankerten Status quo, was die Privilegien der weißen Minderheit betraf. Politische Macht wurde übertragen, grundlegende soziale Ungleichheiten durch den Schutz bestehender Eigentumsverhältnisse bewahrt.
Während Nujomas zweiter Amtszeit (1995–2000) änderte sich der Ton. Dazu gehörte unter anderem die Entsendung von Truppen im August 1998 zur Rettung seines Freundes Laurent Désiré Kabila in der Demokratischen Republik Kongo gegen Rebellen. Nujoma traf diese Entscheidung als Oberbefehlshaber der Armee „im nationalen Interesse“, ohne das Kabinett zu konsultieren oder informieren.
Im August 1999 rief Nujoma den Ausnahmezustand aus, als eine gescheiterte Sezession im Caprivi-Streifen mit einem Überraschungsangriff das Land schockierte. Die anschließende Behandlung der mutmaßlichen Sezessionisten war alles andere als versöhnlich. Sie führte zu den bisher einzigen politischen Flüchtlingen des Landes.
Um Nujoma eine dritte Amtszeit (2000–2005) zu ermöglichen, änderte die Nationalversammlung 1998 die Verfassung. Nujomas dritte Amtszeit konzentrierte sich immer stärker auf grandiose Monumentalbauten, in der die patriotische Geschichtsschreibung auch materielle Wirklichkeit werden sollte.
Trotz Versuchungen sah Nujoma aber davon ab, es seinem Amtskollegen Robert Mugabe im Simbabwe nachzutun und die Staatsführung in der Hand zu behalten. Als sich parteiinterner Widerstand gegen diese ursprünglich gehegten Ambitionen regte, entschied sich Nujoma für die Einheit der Partei und blieb 2005 nicht im Amt. Er bestand jedoch auf seinem langjährigen Vertrauten Hifikepunye Pohamba als Nachfolger. Das rabiate Vorgehen, ihn durchzudrücken, führte zur Gründung einer abtrünnigen neuen Partei.
Bis Ende 2007 blieb Nujoma Präsident der Swapo, danach ernannte ihn die Partei zum „Führer der namibischen Revolution“. Den Ehrentitel „Gründungsvater der namibischen Nation“ hatte ihm die Nationalversammlung bereits verliehen. Als begeisterter Hobby-Farmer, Jäger und Angler konnte er sich auf die während der Präsidentschaft erworbene Privatfarm Etunda zurückziehen, nach seinem Heimatdorf benannt. Doch Nujomas Wort und Meinung zählten weiter. Obwohl sein direkter Einfluss allmählich schwand, blieb er eine ikonische Gestalt. Die Swapo war zur Familie geworden und Nujoma ihr Patriarch.
Eine ikonische Gestalt
Viele Staats- und Regierungschefs afrikanischer Länder sind vom Widerstand gegen koloniale Unterdrückung geprägt. Dieser war kein romantisches Picknick, sondern erforderte Ausdauer und schwierige Entscheidungen. Militärische Denkweisen und strenge Hierarchien förderten autoritäre Tendenzen. Nicht nur in Namibia war die Befreiungsbewegung eine Form von Familienersatz. Die geheimen Operationen im Untergrund, das Leben im Exil erforderten die Verdrängung des Individuellen, den Dienst an der Gemeinschaft unter Hintanstellung persönlicher oder privater Bedürfnisse. Die familiäre Intimität wurde durch den „großen Vater“ ersetzt, der die Rolle des alter ego übernahm.
Dies sind nicht die besten Voraussetzungen für eine zivile Regierung. Aber Namibia wird, anders als manch andere Länder, seit dem Ende der Herrschaft der weißen Minderheit und der südafrikanischen Besatzung kontinuerlich von denjenigen regiert, die die Bevölkerung demokratisch gewählt hat.
Die Vaterrolle endet für Sam Nujoma nicht mit seinem Tod. Kaum ein Ort im Land hat nicht eine Hauptstraße nach ihm benannt. Nujoma bleibt in Denkmälern verewigt. Namibia verdankt ihm und anderen aber eben auch, dass sie den Weg für einen demokratischen Rechtsstaat geebnet haben. Dies wird durch seine Statue vor dem Windhoeker Unabhängigkeits-Museum angemessen symbolisiert. In Zivil gekleidet hält Tatekulu (großer Mann) Sam Nujoma stolz die namibische Verfassung hoch.
Der Autor wuchs zeitweise im damaligen Südwestafrika auf und lebte 1990-2000 erneut im freien Namibia. Heute lehrt er in Schweden. Er ist seit 1974 Swapo-Mitglied und Autor mehrerer Bücher über Namibia.
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