Nachruf auf Pop-Art-Maler Richard Hamilton: Statusbewusst, aber ansprechbar
Kein Konzept war ihm zu verstiegen: Zum Tod des Londoner Pop-Art-Malers, Radierers, Beatles-Cover-Gestalters Richard Hamilton.
Richard Hamilton hat das Wort "Pop-Art" nicht erfunden, aber als es in Umlauf kam, war er dabei. Man könnte sogar sagen, dass er und die anderen Verschworenen der Londoner "Independent Group" nach dem Wort gesucht hatten oder nach der Formel, die der Verwandlung von Dingen des Alltags in Kunst den angemessenen Glanz verleihen würde.
Es war keineswegs von vornherein klar, wohin er gehörte: zu den Technikfreaks oder zu den Künstlern. Die Kriegsjahre tüftelte er in den Labors von EMI, als junger Hochschullehrer reparierte er verwaiste Lithowerkstätten in Newcastle und tourte 1959 mit seinem Vortrag "Glorious Technicolor, Breathtaking CinemaScope and Stereophonic Sound". Er fotografierte sein Publikum, um zu zeigen, was die brandneue Polaroidkamera leistete. Bezeichnenderweise ist seine erste durchschlagende künstlerische Arbeit eine Collage. Sie zeigt ein nahezu nacktes Paar, er Beefcake und sie mit Atombusen, in einer Souterrainwohnung am Kino-Broadway, das Interieur ein Verschnitt von Sofamoderne und Gadget-Spießertum: "Just what is it that makes todays homes so different, so appealing?" Die Parodie, formal schwierig, von ihm bis an die Grenze ihrer Erschöpfung variiert, ist Richard Hamiltons Markenzeichen geblieben. Das Banale wurde ausgeschmückt, als ginge es um eine Zeremonie am königlichen Hofstaat.
Ihn interessierte, wie Konsumenten sich die Dingwelt zu eigen machen. Das studierte er an einem ihm fernliegenden Medium, US-Hochglanzmagazinen. Den 1957er Buick, ein Monster, stellte er dar als puddinghaftes Puzzle, halb Flugzeug, halb menschlicher Körper; das Bestaunen des Fremden übersteigert ins Eklige. Als Titel des Gemäldes (1958) wählte er "Hers is a lush situation" (Üppig ist ihre Lage), zitiert aus dem Text der Zeitschrift Industrial Design, der den 300-PS-Straßenkreuzer einer Fahrerin unterschiebt.
In heutiger Terminologie war Hamiltons Interesse "gender", das ganze Register von Zuschreibungen, das auf die Geschlechterdifferenz bezogen ist. Er versuchte sich an Männermoden, Kosmetik und Wohnzimmern, bis er bei rot und rosa Blumenstillleben und tagtraumartigen Waldszenen mit weißberockten Feen ankam, Mitte der siebziger Jahre. Die Stillleben und Landschaften bezogen sich auf ein mehrlagiges Klopapier der Marke Andrex. Hamilton entdeckte in der Bildsprache von dessen Werbung ein fieses Herumfingern im weiblichen Imaginären mittels malerischer Klischees vom Reinen und Schönen. Diese vehement bejahend, löckte er wider den dialektischen Stachel.
Waren, Werbung, Lifestyle
Gemessen an Warhol oder Lichtenstein in New York, deren grafische Vereinfachung in der Tat "pop" (populär) sein sollte und auch wurde, blieb Richard Hamilton, als Brite, ein halbwegs europäischer Künstler. Als Printmaker (in Farbe) darin geschult, Bildebenen getrennt zu entwerfen, changierte er auch im malerischen Werk zwischen fotografischer Perspektive und malerischer Geste, Grund und Relief, Schwarz-Weiß und Farbe, Positiv und Negativ. Mit Vermeerscher Akribie wälzte er seinen kleinen Schatz von Motiven, unter dem die Lektüren wucherten: Waren, Werbung, Lifestyle; Hollywood, Horror, Sciencefiction; Literatur, Medien, Kunst. Man sieht seinen Einfluss bis zu zeitgenössischen Künstlern wie Luc Tuymans und Rosemarie Trockel: weniger seinen Stil, eher sein Instrumentarium, das klandestine Verweben visueller Bezüge und Referenzen.
Anders als die meisten Künstler seiner Zeit - und Richtung - hatte Hamilton einen engen Draht zur gestalterischen Moderne. 1958 war er zu Gast an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Seine Wohnung in Highgate war ein Vorzeigeobjekt funktionaler Eleganz. Immer dran an neuen Technologien, bekam er auch Aufträge als Industriedesigner - Verstärker, Computer -, die er mit makellosen schwarzen Containern beantwortete. Das Logo von "BRAUN" machte er zu "BROWN", ein perfekter typografischer Diebstahl.
Die Verhaftung seines Galeristen Robert Fraser im Februar 1967 gab dem Künstler ein neues Thema: Justiz und Medien. Ein Zeitungsbild: Fraser und Mick Jagger aneinandergekettet in einem Auto, vom Fotografen geblitzt, jeder mit der freien Hand vorm Gesicht - führte zu einer Siebdruckserie mit dem feinsinnigen Titel "Swingeing London" ("swinge", "hart zuschlagen", meint die drakonische Strafe).
Kreuzung von Moderne und Pop
Die Galerie brachte auch den Kontakt mit Paul McCartney. Für das "White Album" entwarf er das weiße Klappcover mit den schwarz-weißen Porträts drinnen: pures Ulm. Aber die fünf Millionen Käufer bekamen eine Offsetlitho dazu, eine fantastische grafische Collage, die den Übergang der Beatles von greifbaren Menschen zu medialen Markenzeichen darstellt: purer Hamilton. Seine Coverart ist die Kreuzung von Moderne und Pop, von "weniger ist mehr" mit dem immer sprudelnden Brunnen. Ohne Hamilton hätte es die Verbindung nicht gegeben.
Richard Hamilton war ein schmaler Mann mit Wuschelhaaren und Fisselbart, seines Status bewusst, aber ansprechbar. Die Sinnlichkeit seiner Kunst - das entnervend Verführerische - war solide fundiert. Er war verwurzelt in den Kunstströmungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, Kubismus und DaDa, FotoTypo und Collage. Am weitesten getrieben hat ihn seine Recherche des Werks Marcel Duchamps, mündend in die Rekonstruktion des "Großen Glases", wie es in der Tate Gallery zu besichtigen ist. Hamilton sah Duchamp nicht als Anti-Künstler, Verweigerer und Besserwisser - und beerbte deshalb auch nicht die später so modisch gewordenen Attitüden, die Großmannssucht, die negative Teleologie.
Duchamp war ein Vorbild für Hamilton, weil er ihm eine Brücke baute zwischen Tüftlertum und Weltdeutung, zwischen dem ewigen Künstler namens Bräutigam und seiner immer wartenden Braut namens Kunst. Es hat eine gewisse Logik, dass "pop" in London, bevor die Musik sich so nannte, das kollektive Imaginäre meinte und seine Wurzel im Unbewussten. In einem Stammbaum der Kunst des 20. Jahrhunderts war Hamiltons Kunst der letzte Zweig der surrealistischen Bewegung; ihr lebendigster, flexibelster Arm.
Während es ein Markenzeichen der US-Pop-Künstler wurde, sich hinter Formeln - "From A to B and back again" - zu verschanzen, war Hamilton jedem Argument zugänglich. Um zu zeigen, woher er kam, drängte er seine Schriften, Interviews, Quellen, Studien und Werke in ein Buch, das 1982 erschien. Es hieß "Collected Words". Das war nicht nur ein Wortspiel mit "collected works", sondern zugleich die Offenbarung seiner Suche nach dem Wörtlichen: das Logo der Pastis-Firma "RICARD" als unentwegter mediterraner Ruf nach "RICHARD" (zum Beispiel). Er wurde geboren am 24. Februar 1922 als jüngster Sohn einer Familie, die - der Vater uniformierter Chauffeur - den Anschluss an das bessere Leben suchte und wohl auch fand. Mit zwölf hatte Hamilton seinen ersten Mentor. Aufgehalten durch den Krieg, wurde er ein Speicher für Technik, Bilder, Theorie und Trash: seine Forschheit gebremst durch seine Erfahrung. Das ist eine seiner Verbindungen mit Beuys, dieser ein Jahr älter, den er in Düsseldorf besuchte.
Hip und liebenswert
Man könnte sein Leben auch anders erzählen. Über den Unfalltod seiner Frau Terry 1962, sie hatten zwei kleine Kinder, oder seine Heirat mit Rita Donagh 1991, mit der er sein zweites Leben so lange geteilt hatte. Über seine Freundschaft mit Dieter Roth und deren etwas zu feucht-fröhliche Zusammenarbeit. Über sein Haus in Cadaqués oder das Haus in Oxfordshire, gekauft als Ruine und verwandelt in ultimativen Chic. Oder man erzählt sie als klassischen Erfolg, über die Retrospektiven, über die Präsenz in großen Museen, über seinen Teil an der Documenta. Der Erfolg aber hat seine stechende Vision nicht gemildert. Kein Konzept war ihm zu verstiegen; jedem noch so geringen Werk hat er immense Sorgfalt angedeihen lassen. Richard Hamilton, der am Dienstag 89-jährig starb, wird in Erinnerung bleiben als Künstler der (Geistes-)Gegenwart, hip und liebenswert, ein rarer Charakter.
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