Nachruf auf Amy Winehouse: Gegendiva mit Fuck-Off-Haltung
Wenn es stimmt, dass das Publikum seine Bluessängerinnen traurig mag, war Amy Winehouse die konsequenteste unter ihnen. Die Souldiva hat sich selbst zu Grunde gerichtet.
Wieder ein Rock 'n Roll Victim. Als ob man nicht schon wüsste, wie es läuft. Dass herausragendes künstlerisches Talent, psychische Labilität und irrwitziger Erfolg im frühen Alter schon immer die Zutaten für den Death Cocktail sind: Amy Winehouse hat sich konsequent in den Club 27 hineingesoffen, -geraucht und, manchen Quellen nach zu urteilen, -gespritzt. Genau wie die anderen eben.
Oder müsste man Medienopfer sagen? Gibt es so etwas? Können die dieser Tage eh viel gescholtenen britischen Sudelblättchen, die die fünffach grammyprämierte Künstlerin auf Schritt und Tritt beobachteten, schuld sein, zumindest eine Mitschuld haben? Die den Aufstieg der anfangs noch untätowierten Sängerin mit der eigenwilligsten Soul- und Bluesstimme seit Billie Holiday verfolgten, vom ersten Plattenvertrag, den die damals 18-Jährige 2002 bei Island Records unterschrieb, vom ersten, 2003 erschienenen Album, "Frank", bis 2006, als ihre zweite, weltweit zu Recht überschäumend umjubelte Platte "Back to Black" herauskam und Amys Konsum eindeutig selbstzerstörerische Züge annahm.
Die sie belauerten, sie natürlich auch feierten, aber vor allem mit gezückten Kameras vor der Haustür ihrer Wohnung in Camden auf sie warteten, um Neues von der Magersuchtsfront und vom Crackrausch zu berichten, von einem weiteren blutigen Ehekrach mit Blake Fielder-Civil oder einfach ein paar Schnappschüsse von verschmiertem Eyeliner und frischen Seemannstattoos an dünnen Ärmchen zu kriegen, die es in groteske Magazin-Listen von "Unsexiest Women of the Year" schaffen. Und die nach den letzten, Unheil verkündenden Totalabstürzen und dem katastrophalen Ende ihrer gerade erst gestarteten Europatournee immer wieder die Fotos von der desolaten Sängerin auf der Bühne in Belgrad druckten: Es ist grausam, wie sehr die Bilder von der sich selbst umarmenden, zugedröhnten Amy das Ende vorwegnehmen.
Drogensucht ist eine Krankheit mit mannigfaltigen und persönlichen Ursachen, die meist nicht mal der Süchtige selbst durchschaut, erst recht nicht Yellow oder andere Presse. Auch nicht ihr Ex-Ehemann, mit dem sie gemeinsam konsumierte, entzog, wieder konsumierte, dessen Namen sie als Tattoo über ihrem Herzen trug. Nicht ihre Eltern, die Apothekerin Janis und der Taxifahrer und Jazzsänger Mitch, der die Sucht seiner Tochter des Öfteren verzweifelt in der Öffentlichkeit thematisiert, der ihr als Kind abends Frank-Sinatra-Lieder vorgesungen hatte.
Kapital aus ihren Abstürzen
Und hat Amy nicht auch mit ihrem Image und ihrer Sucht kokettiert? Hat sich in "Rehab" öffentlich darüber lustig gemacht, den Fotografen Tür und Tor geöffnet, die neuen unechten Brüste zur Schau gestellt, die Gegendiva, das "bad girl" gegeben, das überall hingeht, im Gegensatz zu - neben Amy - farblosen Figuren wie Mariah Carey und vor allem Whitney Houston, die aus den persönlichen Abstürzen nie Kapital schlug. Oder im Gegensatz zur nur kurzzeitig interessanten Britney Spears, die ebenfalls die Chance verpasste, nach ihren Zusammenbrüchen als echte Person wahrgenommen zu werden. Denn das ist es, was Amy Winehouse neben der Stimme und der stilsicher-überkandidelten Karikatur eines Motown-Beehives, einzigartig machte: Durch ihre öffentliche Zerbrechlichkeit sah man, egal ob auf der Bühne oder im Boulevard, stets die wahre Amy.
Keiner wird, wie bei Spears, an eine Verschwörung ihrer Entourage glauben, die sie einfach nicht genug abgeschirmt hätte, denn Winehouse war viel selbstständiger: Sie war kein Produkt eines Managements, sondern eine echte Exzentrikerin mit der nonchalanten Fuck-Off-Haltung eines smarten Londoner Vorstadtmods. Keine der anderen Retrodamen mit toupiertem Hinterkopf, weder Adele, noch Duffy, noch Rumer, hat so viel guts. Und keine zeigt auf der Bühne so schonungslos ihr Bestes und ihr Schlimmstes.
Sie hat deutlich gesagt, wie sehr sie sich selbst leidtat, wenn sie in Interviews davon sprach, dass ihr nichts übrig bliebe, als zu trinken: Der Mann sei schließlich weg, im landläufigen Bluessong die Hauptantriebsfeder zum Singen und Konsumieren. Dieser Konsum ließ zudem ständig Möglichkeiten platzen, wie den Titelsong zum letzten James Bond-Film einzusingen oder ihre Bekanntheit und ihr Konto durch Tourneen noch zu verstärken.
Moderne Drogenabhängige
Nach dem gescheiterten Tourauftakt im Juli hatte ihr Manager Ray Cosbert bekannt gegeben, dass Amy sich gleich "ein paar Jahre lang" zurückziehen werde, um ihre Sucht zu bekämpfen, die Schwere ihrer Erkrankung war ihm und allen anderen in ihrem Umfeld also bewusst. Angeblich habe man auch immer wieder versucht, alles an Alkohol und Drogen aus ihrem Umkreis zu verbannen, sogar die Minibars ihrer Hotels wurden geleert.
Dass Amy dazu noch an einem Lungenemphysem leiden sollte, das durch zu viel (Crack-)Rauchen verursacht worden sei, passt zu dem Tempo ihres Absturzes: Sie war, wie viele der modernen Drogenabhängigen, Polytoxikomanin. Bei Billie Holiday oder Charlie Parker reichte die Heroin-Alkohol-Mischung. Immer wurde auch berichtet, der Tod ihrer Großmutter Cynthia 2006, die sich stets für die musikalische Ausbildung ihrer Enkelin stark gemacht und sie in ihrem Streben Richtung Bühne unterstützt hatte, habe Amy so tief getroffen, dass aus der Gewohnheitstrinkerin im gleichen Jahr eine Drogenabhängige wurde.
Aber wiederum kann das nur einer von vielen, unbekannten Gründen sein, die nicht zureichend erklären, wieso eine so begabte Person eine so schlechte Meinung von sich zu haben scheint, dass sie sich systematisch aushungert und vergiftet. Von Clubmitglied Janis Joplin stammt nicht nur das Zitat "On stage I make love to 25.000 people, then I go home alone", sondern die 1970 verstorbene Texanerin sagte einmal, dass das Publikum seine Bluessängerinnen traurig mag. Insofern war Amy Winehouse vielleicht einfach nur die konsequenteste, auf jeden Fall aber die tragischste aller großen neuzeitlichen Stimmen.
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