Nachruf Gert Jonke: Der Textkomponist
Ein unübertroffener Interpret seiner selbst - zum Tod des "gesitteten Sprachkünstlers" Gert Jonke aus Österreich.
Die "Bereitschaft zu einer gesitteten Verrücktheit" verlangte er den Teilnehmern an seinen Literaturworkshops in der Schule für Dichtung ab. Gert Jonke hat diese gesittete Verrücktheit in seinen Texten vorexerziert. Manchmal gewann die Verrücktheit über das Gesittete allerdings die Oberhand - nicht unbedingt zulasten der literarischen Qualität. "Sprachkünstler" ist die Vokabel, mit der in fast allen Nachrufen auf den am Sonntag verstorbenen Dichter versucht wurde, das Wesen seines literarischen Stils zu beschreiben.
Jonke war auch ein unübertroffener Interpret seiner eigenen Dichtung. Wer einmal das Vergnügen hatte, ihn beim Vortragen eigener Texte zu erleben, der konnte sich dem Zauber seiner humorgewürzten Sprachspielereien schwer entziehen.
"Ein großer Sprachkünstler und ein entzückender Mensch", bemerkte Schriftstellerkollege Robert Menasse. "Er hat mit der Sprache gespielt, wie ein Kind mit Seifenblasen, aber es war da keine Luft in den Blasen, da war ein sehr raffiniertes und genaues Denken drinnen", würdigte Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek den Toten. Jonke "schrieb seine Texte nicht, er komponierte sie", so der Literaturkritiker Anton Thuswaldner: "Sie arbeiten nach musikalischen Prinzipien, orientieren sich an Klang und Rhythmus und bewegen sich an einem Motiv entlang, das an musikalischen Strukturen ausgerichtet ist."
Das theoretische Rüstzeug für sein Werk holte sich der 1946 in Klagenfurt geborene Gert Friedrich Jonke an der Uni Wien, wo er Germanistik, Geschichte, Philosophie und Musikwissenschaft studierte. Anschließend erlernte er an der Akademie für Film und Fernsehen das Handwerkszeug für seine Mitarbeit in der Hörspielabteilung des Süddeutschen Rundfunks. Dort war er immerhin so erfolgreich, dass er ein Stipendium für Berlin (West) bekam, wo er fünf Jahre bleiben sollte. In London, Argentinien und dem Nahen Osten machte er Station, bevor er nach Österreich zurückkehrte. Da kann man als Künstler nur etwas werden, wenn man vorher Anerkennung im Ausland erworben hat. Jonkes Auszeichnung mit dem ersten Ingeborg-Bachmann-Preis im Jahre 1977 bestätigt das.
Es folgte sein "Geometrischer Heimatroman", in dem Jonke all den literarischen und politischen Schrott aus den Nachkriegsjahren seiner Kindheit im engen Kärnten aufs Korn nahm und versuchte, eine eigene, unbelastete Sprache zu entwickeln.
Er ließ sich 1978 in Wien als freier Schriftsteller nieder und verdiente seine Brötchen vor allem mit Hörspielen. Ab den 1990er-Jahren war er auch als Autor von Bühnenstücken zunehmend gefragt. Seine Auftragswerke wurden an den großen Bühnen Österreichs uraufgeführt. Nicht alle mit augenblicklichem Erfolg. Seine Nachdichtung von Aristophanes "Die Vögel" fiel in Kärnten zunächst durch, weil sein populistischer Verderber und Vogellautverdreher als Anspielung auf den damaligen Landeshauptmann Jörg Haider gedeutet wurde. Zu Unrecht, wie Jonke beteuerte. Beim Wiener Publikum kam das Stück zwei Saisonen später auch viel besser an.
Zahlreiche Preisgelder aus Österreich und Deutschland erleichterten Jonkes Leben: 1988 der Preis der Frankfurter Autorenstiftung, 1998 der Berliner Literaturpreis, 2005 der Kleistpreis. Der Große Österreichische Staatspreis für Literatur wurde ihm 2002 verliehen. Dreimal heimste er den Nestroy-Theaterpreis ein, zuletzt 2008. Zur Verleihung im November erschien er bereits vom Tod gezeichnet. In den frühen Morgenstunden des 4. Januar starb Gert Jonke 62-jährig in einem Wiener Krankenhaus an Bauchspeicheldrüsenkrebs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt