Bonn apart: Nachrichtenflaute
■ Was tun gegen die Wahlmüdigkeit?
Wenn Ostern, Weihnachten oder die großen Ferien näherrücken, dann hebt sich die Stimmung. Der Wert der Nachrichten hingegen sinkt. So verschaffte mir der gestrige Morgen nach kurzem, allerdings heftigem Verdruß über die Wahlen in Großbritannien die angenehme Sicherheit: die freie Zeit ist nah.
Kaum hatte der Radiowecker den Triumph der Konservativen verkündet, folgten nämlich Namen und Meinungen von unbekannten Akteuren der Bonner Bühne. Die Großen aus den vorderen Reihen haben die ehemalige Hauptstadt bereits verlassen, der Kanzler fastet, und nun steuern die weniger beachteten Talente aus allen Fraktionen ihre Vorschläge bei.
Wie kann dem Wahldebakel vom letzten Wochenende am besten begegnet werden? Während die Parteispitzen sich unisono auf den Ruf nach mehr Wahrheit und Wahrhaftigkeit verlegt hatten, wollen die Abgeordneten Heinrich Seesing (CDU) und Heinz-Dieter Hackel (FDP) es bescheidener versuchen, nämlich mit der Wahlpflicht. Denn schließlich wären die Ergebnisse anders gewesen, wenn nicht so viele WählerInnen zu Hause geblieben wären. Heinrich Seesing legt die Anregung gleich der Verfassungskommission ans Herz. Die Wahlpflicht, meint er, erinnert die Bürger daran, daß jeder sich um den Staat und die Demokratie kümmern muß. Das finde ich gerecht: nachdem die WählerInnen die Politiker an ihre Verantwortung erinnert haben, ist es an der Zeit, umgekehrt das gleiche zu tun.
Aber die SPD ist wieder einmal dagegen: Zwang, womöglich Geldstrafen könnten den Bürgern „die Freude an den Parteien endgültig austreiben“, ließ Parteivorstandssprecherin Cornelie Sonntag verbreiten. Eine ähnliche Reaktion — rücken die Parteien tatsächlich zusammen? — kam am Nachmittag dann auch von Wolfgang Bötsch (CSU). Für ihn droht bei Wahlpflicht Gefahr für die Freiheit. Er will die Sache lieber pragmatisch regeln. Denjenigen, die aus Protest nicht zur Wahl gehen, müsse man sagen, daß es wohl keine Partei gibt, die absolut alles richtig macht. Sie sollten doch einfach die Partei wählen, „die die wenigsten Fehler macht“. Der erste ernstzunehmende Beitrag zur neuen Wahrhaftigkeit in Bonn. Tissy Bruns
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