Nachgefragt: „Ein Offenbarungseid“
■ Marieluise Beck, Grüne im Bundestag
Der Senat setzt in der Vulkan-Krise ganz auf Bonn, Brüssel und die Arbeitsämter. Mit der vollen Ausschöpfung der Möglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes sollen zum Beispiel Auffanglösungen für diejenigen Beschäftigten erreicht werden, die vor der Entlassung stehen. So viele Möglichkeiten gibt es gar nicht mehr, meint dagegen Marieluise Beck. Sie sitzt für die Grünen im Bundestag und dort im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung.
taz: Sie sagen, was der Senat fordert, liegt neben der Realität. Warum?
Marieluise Beck: Die CDU im Senat gibt gemeinsam mit der SPD eine Regierungserklärung ab, in der gesagt wird, daß alle Möglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes genutzt werden sollen. Und gleichzeitig bastelt diese CDU in Bonn als Regierungspartei an sogenannten Reformgesetzen zur Arbeitslosenhilfe und zum AFG, die die Intentionen auf der Landesebene zunehmend aushöhlen.
Was ist da geplant?
Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Ausgaben für die Arbeitsförderung um etwa 15 Milliarden Mark abzusenken. Und das soll bei steigenden Arbeitslosenzahlen durchgesetzt werden. Das heißt: Am Ende werden die Programme massiv gekürzt. Das ist der Hintergrund, vor dem sich Auffanglösungen in Bremen überhaupt abspielen können.
Wir reden in Bremen ja in Perspektiven von Wochen. Wie spruchreif sind denn die Bonner Pläne?
Ziemlich spruchreif. Die Novellierung soll im Sommer durchs Parlament gehen.
Wa heißt das genau für Bremen?
Mindestens das: Die Mittel, die nach Bremen fließen, werden gekürzt. Und da Bremen mit seiner hohen Arbeitslosigkeit immer überproportional viele Mittel bekommen hat, werden die Kürzungen auch überproportional durchschlagen.
Kann man schon sagen, was wegfallen würde?
Nein. Aber der Bremer Arbeitsamtsdirektor Christian Hawel sagt im taz-Interview, eine Möglichkeit, beim Vulkan jetzt Personalabbau zu betreiben, sei die Frühverrentung. Nur leider gibt es die seit zwei Wochen nicht mehr. Da hat die Kanzlerrunde mit dem DGB zum Bündnis für Arbeit getagt, und da ist eine Stichtagsregelung verabredet worden, daß ab sofort keine Frühverrentungen im alten Stil mehr möglich sein sollen.
Das Instrument Frühverrentung ist also weg?
Das ist ganz hart für die Betroffenen. Die zentrale Frage ist doch: Wo sollen die Ersatz-Arbeitsplätze denn herkommen? Der Arbeitsamtsdirektor ist ja bei der Frage nach Qualifizierung und Umschulung ziemlich ehrlich gewesen.
Sie meinen die Frage, wohin denn bloß die Leute qualifiziert werden...
...ja. Ein Arbeitsamt kann ja keine Wirtschaftsstrukturpolitik leisten. Zum Teil wird ins Blaue hinein qualifiziert, das grenzt an Beschäftigungstherapie. Hier wären Strukturvorgaben der Politik dringend nötig.
Im großen Bereich maritimer Technologie liegen Potentiale, die in Bremen unterschätzt worden sind. Und auch auf Bundesebene gibt es kaum eine maritime Technologiepolitik, und auf seiten der EU auch kaum. Es gibt Programme für die Raumfahrt, für die Gentechnologie, aber dafür nicht. Das wäre aber ein Feld, in das hinein man aktive Arbeitsmarktpolitik und Qualifizierung machen könnte.
Das klingt überhaupt nicht danach, als hätte Bonn einen Plan für die ökonomische Zukunft der Unterweserregion.
Bisher nicht. Herr Rexrodt hat der „Welt am Sonntag“ gesagt, die Unternehmen seien nun verantwortlich und ansonsten müsse man auf die Kräfte des Marktes vertrauen. Das ist im Grunde der Offenbarungseid für die Industrie- und Strukturpolitik.
Eigentlich eine stramm kommunistische Haltung von Rexrodt: Er macht sich und den Staat überflüssig.
So kann man's auch sagen.
Fragen: J.G.
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