Nachgefragt: Ungeduld ist gefährlich
■ Sollen Bosnien-Flüchtlinge jetzt zurück?
Die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne) hat vom 13.-20. April Bremer Hilfsprojekte in Bosnien besucht und zahlreiche politische Gespräche geführt. Dabei sei ihr immer wieder das Anliegen vorgebracht worden, Deutschland solle mit der Rückführung der Flüchtlinge auf keinen Fall schon in diesem Sommer beginnen (vgl. Seite 24).
taz: Ab Juli sollen bosnische Flüchtlinge auch gegen ihren Willen abgeschoben werden. So hat es die Innenministerkonferenz beschlossen. Kann Bosnien die Flüchtlinge überhaupt wieder aufnehmen?
Marieluise Beck: Ich bin fest davon überzeugt, daß es verantwortungslos ist, diesen Zeitplan durchzudrücken. Der Wiederaufbau hat in Bosnien faktisch überhaupt noch nicht begonnen. Es gibt kein Baumaterial und Teile des Landes sind flächendeckend zerstört. Und die Menschen können nicht in ihre Häuser zurück, selbst wenn sie noch welche haben. Sie würden auf andere Flüchtlinge aus dem Land stoßen, die in diesen Häusern notdürftig untergebracht worden sind. Es würde zu einem innerbosnischen Verdrängungsprozeß kommen, der extremen sozialen Sprengstoff birgt.
Aber es fehlen doch für den Wiederaufbau überall Ärzte, Architekten und andere qualifizierte Menschen. Müssen die nicht dringend zurückkehren?
Sicherlich werden gerade die qualifizierten Menschen gebraucht. Trotzdem haben selbst die Ärzte, die noch vor Ort sind, nicht mal Medikamente und Reagenzgläser. Noch zusätzlich arbeitslose Ärzte in die leeren Ambulanzen zu schicken, hat keinen Sinn. Der Wiederaufbau muß zuvor zumindest anlaufen, damit die Leute etwas Sinnvolles tun können.
Noch ist die Arbeitslosigkeit fast 100 Prozent, und 80 Prozent sind zum Beispiel in Tuzla noch vollständig von humanitärer Hilfe von außen abhängig. Gleichzeitig werden diese Programme extrem zurückgefahren. Der UNHCR ist nur noch bei 30 Prozent der Lieferungen zu Kriegszeiten.
Der Wiederaufbau kann auch ohne die geflüchteten Experten beginnen?
Ja, es sind nach wie vor ausreichend qualifizierte Menschen vor Ort. Das Arbeitslosenproblem ist enorm. Und zudem werden mit der Demobilisierung der Armee demnächst Zehntausende von jungen Männern ohne Arbeit in vollkommen zerstörte Strukturen zurückkommen.
Was kann Bremen tun?
Bremen sollte mit seiner Stimme auf Bundesinnenminister-Ebene deutlich machen, daß wir nicht aus Ungeduld den fragilen Friedensprozeß noch weiter belasten. Bevor jemand zurückkehrt, muß geklärt werden, ob die Menschen wirklich wie im Daytoner Abkommen festgelegt in ihre angestammten Heimatorte zurückkehren können.
Die Spendenbereitschaft für Bosnien geht inzwischen gegen Null. Kann man das ändern?
Da bin ich ratlos. Der Krieg ist vorbei, die Menschen meinen, da müßte es ja besser gehen. Aber dem ist nicht so. Ich bin relativ pessimistisch, daß das private Spendenaufkommen nochmal in der Größenordnung angekurbelt werden könnte, wie Bosnien es jetzt brauchte. Da sind jetzt auch die offiziellen Ebenen gefragt. Ase
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