Nachgefragt: Sturmflut ist schlimmer
■ Wasserexperte Albert Bergmann über Überschwemmungsgefahren in Bremen
An der Oder werden Menschen vor den Wassermassen in Sicherheit gebracht. Seit vorgestern sind in und um Frankfurt auch zehn Mitarbeiter des Bremer Technischen Hilfswerks damit beschäftigt, die Deiche zu verstärken. Und was passiert, wenn die Weser über die Ufer tritt? Die taz sprach mit Albert Bergmann vom Bremer Wasser- und Schifffahrtsamt.
taz: Herr Bergmann, wann stand der Bremer Marktplatz zuletzt unter Wasser?
Albert Bergmann: Meines Wissens noch nie. Die letzte richtig große Überschwemmung hatten wir 1881. Damals floß das Wasser links der Weser die Ochtum hoch und überschwemmte alles. Auch Borgfeld wurde in früheren Jahrhunderten häufig überschwemmt.
Heißt daß, daß die Bremer Innenstadt dauerhaft vor massiver Überschwemmung geschützt ist?
Im Prinzip schon. Wir haben hier den Vorteil, daß wir bis hoch zum Weserwehr tidenabhängig sind. Ebbe und Flut sorgen dafür, daß regelmäßig Wasser reinkommt und auch abfließt. Es ist immer Bewegung da. Deshalb kann eine Hochwasserwelle, wie wir sie an der Oder erleben, kaum entstehen.
Und wenn das Wasser nicht von oben, sondern aus der Nordsee kommt?
Eine Sturmflut ist für die Bremer Innenstadt tasächlich gefährlicher als Schmelz- und Regenwasser aus dem Harz. Dann drückt die Nordsee ihr Wasser nach Bremen. Ganz fatal wäre es, wenn beides gleichzeitig käme: Sturmflut und Regenwasser.
Die Gebiete südlich des Weserwehrs sind aber von Überschwemmungen bedroht?
Theoretisch schon. Dort sind ja auch überall Deiche, die Überschwemmungen verhindern sollen.
Daß die nicht ewig halten, wird uns aber gerade eindrucksvoll vorgeführt...
Richtig. Deswegen hat man auch weit oberhalb - also im Harz und in Hessen - Rückhaltebecken und Talsperren gebaut. Da, wo die großen Wassermengen aus dem Gebirge kommen, entlang von Werra, Fulda und Leine, gibt es schon die ersten Ausweichmöglichkeiten.
Und bevor es die gab?
Bis zu Beginn dieses Jahrhunderts existierten im damaligen Land Braunschweig links der Weser riesige Überschwemmungsgebiete. Dort konnte das Wasser ungehindert abfließen. Und auch heute ist noch ein breiter Gürtel auf beiden Seiten der Weser gleichsam für Überschwemmungen freigegeben. Bei Achim zum Beispiel ist das Überflutungsgebiet zweieinhalb Kilometer breit; unmittelbar vor den Toren Bremens ist es noch fast ein Kilometer. Da kann schon einiges abfließen.
Auch in Brandenburg haben die Menschen noch vor wenigen Wochen geglaubt, bei ihnen träte das Wasser nicht über die Ufer – jedenfalls nicht so, daß es Menschen gefährdet.
So genau wissen wir auch nicht, daß uns nicht das gleiche passieren kann. Vielleicht sind wir nur verschont geblieben.
In Polen, Tschechien und Brandenburg ist doch nichts anderes passiert, als daß es geschüttet hat wie aus Eimern.
Richtig. Irgendwann ist der Boden gesättigt und nimmt kein Wasser mehr auf. Das Regenwasser fließt dann direkt als Hochwasser ab. Dieser Effekt wird durch die Versiegelung der Flächen, zum Beispiel durch Bebauung, verstärkt. Deswegen sind die Hochwasserspitzen auch heute höher als früher. Früher verteilte sich eine Hochwasserwelle über einen längeren Zeitraum.
Den Laien wundert, wie lange das Wasser gebraucht hat, um von Breslau nach Frankfurt zu kommen.
Das geht nicht so schnell. Von Hannoversch Münden bis Bremen zum Beispiel ist das Wasser drei bis vier Tage unterwegs. Für uns hat das natürlich den Vorteil, daß wir halbwegs vorbereitet sind.
Fragen: Jeannette Goddar
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