piwik no script img

NachgefragtAusbildung war anders aus

■ Neues Gesetz: Psychotherapeutin Palm über „üble Situationen“in vielen Praxen

Am 6. März wird der Bundesrat erstmals ein Psychotherapeutengesetz verabschieden. Vergangene Woche machte der Vermittlungsausschuß den Weg dafür frei, nachdem das Gesetz in seiner ersten Fassung von den SPD-regierten Ländern abgelehnt worden war. Damit wird der Psychotherapeut als Berufsstand gesetzlich anerkannt. Ganz eigenständig ist die Berufsgruppe damit aber nicht.

Die Psychologen werden in die Kassenärztliche Vereinigung (KV) integriert. Manche sehen diesen zwischen Psychologenverbänden, Krankenkassen und Ärzten ausgehandelten Kompromiß mit zwiespältigen Gefühlen. Wir befragten dazu die Bremer Psychotherapeutin Monika Palm, Mitglied der „Interessengemeinschaft psychologischer Psychotherapeuten“.

taz: Ihre Patienten brauchen bald keine ärztliche Überweisung mehr. Ist das nicht wunderbar?

Monika Palm, Psychotherapeutin: Ja und nein. Jahrelang mußten meine Patienten im sogenannten Kostenerstattungsverfahren ihre Kosten erst einmal selber tragen. Ab April nächsten Jahres kann ich direkt über die Kassen abrechnen. Aber dafür muß ich jetzt erstmal Nachqualifikationen in tiefenpsychologischer Therapie machen.

Seit wann arbeiten Sie?

Seit zehn Jahren. In einer eigenen Praxis.

Warum dann die Nachqualifikation?

Das Problem ist, daß wir Psychologen jetzt nach den Richtlinien gemessen werden, die bisher für die Ärzte galten. Wir Psychologen müssen jetzt Qualifikation in Psychoanalyse, Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierter Therapie nachweisen. Unsere Ausbildung aber sah anders aus. Wir haben seit langem schon methodenübergreifend gelernt und gearbeitet: mit Gesprächstherapien, Bioenergetik, Gestalt- und körperorientierten Therapien, psychoorganischer Analyse...

Ein Beispiel. Zu Ihnen kommt jemand, von dem Sie den Eindruck haben: Dieser Mensch braucht keine Analyse, sondern eine Familientherapie. Also eine direkte Auseinandersetzung mit dem Ehepartner beispielsweise – oder mit dem Vater, der Mutter. Was machen Sie dann?

So jemandem kann ich nur noch raten, sich an einen Familientherapeuten zu wenden und das selbst zu zahlen.

Ihre Kollegen, die sich nicht tiefenpsychologisch nachqualifizieren wollen, hören die jetzt auf?

Es gibt in Bremen 150 PsychologInnen, die bisher nach dem Kostenerstattungsverfahren arbeiteten und jetzt nachschulen müßten. Einige von ihnen lehnen dies ab. Die werden jetzt nur noch privat arbeiten.

Dürfen die nach 1999 noch ein Hinweisschild „Psychotherapeut“an der Haustür haben?

Nein. Sie dürfen zwar noch psychotherapeutisch arbeiten, Psychotherapeut nennen dürfen sie sich aber nicht mehr.

Im Vermittlungsausschuß wurde jetzt nachgearbeitet, nachdem SPD und Grüne das Gesetz im Bundesrat zu Fall gebracht hatten. Gab es Verbesserungen?

Ja. Wesentlich scheint mir, daß weiterhin auch auf Kostenerstattungsbasis gearbeitet werden darf, wenn in einer Region eine psychotherapeutische Unterversorgung besteht. Außerdem dürfen nun auch psychologische Psychotherapeuten in den Ambulanzen der Unikliniken auf Krankenkassenkosten behandeln. Und bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) werden Fachausschüsse eingerichtet, die paritätisch von Psychologen und Ärzten besetzt sind und zum Beispiel über die Zulassung der Psychologen entscheiden.

Zur Zeit lassen die Krankenkassen keine Kostenerstattungsverfahren mehr zu. Was machen Sie und Ihre 150 Bremer Kollegen bis April 1999?

Einige haben schon zugemacht. Bei mir laufen etliche der bewilligten Stunden aus. Ich habe noch einige Privatpatienten, aber davon kann ich nicht leben. Wir sind alle in der gleichen üblen Situation. Und unsere Patienten, die keine Behandlung mehr bekommen, natürlich erst recht. Fragen: ritz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen