Nach israelischem Beschuss einer Lieferung: UN stoppt Hilfe für Gaza
Der Militäreinsatz im Gazastreifen trifft vor allem die palästinensische Bevölkerung. Daran trägt Israel eine erhebliche Mitschuld.
Israels Regierung und Armee sind in den nunmehr 13 Kriegstagen nicht müde geworden, nahezu gebetsmühlenartig zu betonen, dass der Angriff auf Gaza sich nicht gegen die palästinensische Zivilbevölkerung richte. Doch die Glaubwürdigkeit dieses Sermons ist durch eine Vielzahl von Ereignissen schwer erschüttert. Deutlich vor dem Ende der dreistündigen Waffenruhe wurde am Donnerstag erstmals ein UN-Lastwagen mit Hilfslieferungen von der israelischen Armee beschossen. Bei dem Angriff kam der Fahrer ums Leben. Mit dem Verweis auf die israelischen Angriffe stoppten die UN alle Hilfslieferungen in den Gazastreifen.
Schon zuvor hatte der Artilleriebeschuss der UNRWA-Schule im Flüchtlingslager Jabaliya am Dienstag mit mehr als 40 Toten ernste Zweifel geweckt daran, dass die israelischen Erklärungen für bare Münze zu nehmen sind. Die Armee soll laut UN gegenüber Diplomaten eingeräumt haben, dass - entgegen ihrer Darstellung - keine Raketen vom Schulgelände abgefeuert wurden.
Am Donnerstag hat ein ungewöhnlicher öffentlicher Appell des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), die israelische Glaubwürdigkeit weiter erschüttert. Anlass dieser IKRK-Demarche ist ein Vorfall im Stadtviertel Zeitun in Gaza. Tagelang sei es den Ambulanzen verwehrt worden, in das von der Armee beschossene Viertel zu gelangen. Erst am Mittwoch hätten vier Ambulanzen Zutritt erhalten.
In einer Wohnung in Zeitun hätten die Rotkreuz-Helfer vier kleine Kinder neben ihren toten Müttern gefunden. Die Kinder seien zu schwach gewesen, um aufzustehen. Auch ein völlig entkräfteter Mann sei gefunden worden. Insgesamt hätten in der Wohnung zwölf Leichen auf Matratzen gelegen. In einem anderen Haus habe das Rettungsteam 15 teils verletzte Überlebende dieses Angriffs sowie drei Tote gefunden. Der Chef der IKRK-Delegation in Israel und den besetzten Palästinensergebieten Pierre Wettach sagte, das sei "ein schockierender Vorfall". Die israelische Armee erklärte dazu, sie sorge sich bei laufenden Operationen zuallererst um die Sicherheit ihrer Soldaten, nicht die der palästinensischen Zivilisten.
Auch die Angriffe von Mittwochnacht auf Donnerstag legen den Verdacht nahe, dass Israels Armee inzwischen auch Wohnhäuser im Grenzgebiet zu Ägypten zur Infrastruktur der Hamas zählt. Jedenfalls wurden bei zahlreichen Luftangriffen ganze Straßenzüge dem Erdboden gleichgemacht, andere unbewohnbar gebombt. Auf Videoaufnahmen, die von israelischen NGOs weitergeleitet wurden, ist das immense Ausmaß der Zerstörung zu sehen.
Amnesty International (AI) gab Mittwochnacht eine Erklärung ab, in der es Israel vorwirft, Palästinenser als menschliche Schutzschilde in ihrem Krieg gegen die Hamas zu benutzen. Denselben Vorwurf richtete AI auch gegen die Hamas. "Unsere Quellen in Gaza berichten, dass israelische Soldaten Stellungen in palästinensischen Häusern einnehmen und die Familie zwingen, im Erdgeschoss zu verbleiben, während der andere Teil des Hauses benutzt wird, um dort Scharfschützen zu positionieren." Dies gefährde das Leben der Familie, da sie de facto als menschliches Schutzschild mißbraucht werde. Der Hamas hält AI vor, aus Wohnvierteln heraus zu schießen, diese unmittelbar danach zu verlassen und die Zivilisten somit der israelischen Vergeltung auszusetzen. Ein dauerhafter Waffenstillstand sei dringend vonnöten, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern.
Bislang sind die Hilfslieferungen, die während der Feuerpause in den Gazastreifen gelangen, völlig unzureichend. Nach Angaben der britischen Hilfsorganisation Oxfam wurden am Mittwoch 92.000 Liter Diesel für die Stromerzeugung geliefert. Der tatsächliche Bedarf beläuft sich laut Oxfam aber auf 500.000 Liter pro Tag. Ähnlich dürfte das Mißverhältnis bei der Versorgung mit Mehl, Öl oder Trinkwasser sein.
Auch medico international beklagte in einem AP-Gespräch, dass die dreistündigen Unterbrechungen der Kämpfe nicht ausreichten, um die Bevölkerung zu versorgen. "Die Menschen sind ängstlich und trauen sich nicht aus ihren Häusern, um Essen zu holen", sagte der Vertreter des Hilfswerks für Israel und die besetzten Gebiete, Tsafrir Cohen. Es herrsche ein Gefühl der Ohnmacht, so Cohen. "Die Zivilbevölkerung kann nirgendwohin fliehen - die Menschen fühlen sich im Käfig und werden von allen Seiten beschossen."
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