Nach gescheiterten WTO-Gesprächen: Protektionismus hat Zukunft
Sowohl in den USA wie auch in Indien und China nimmt die Bereitschaft zu einer weiteren Liberalisierung des Welthandels ab.
GENF taz Pascal Lamy, der überaus ehrgeizige Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO), will zwar noch nicht sofort "das Handtuch werfen". Doch nachdem der Versuch, die vor sieben Jahren eröffnete "Doha-Verhandlungsrunde" endlich mit einem Abkommen zu beschließen, am Dienstagabend nach neuntägigem harten Feilschen gescheitert ist, rechnen Insider in der Genfer WTO-Zentrale mit dem baldigen Abgang ihres französischen Chefs. Denn die "Doha-Runde", mit deren Erfolg Lamy sein Schicksal verknüpft hatte, ist endgültig tot.
Damit steht auch die grundsätzliche Frage nach der Zukunft der WTO im Raum. Die von einigen Akteuren geäußerten Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme von Verhandlungen "irgendwann nach den US-Präsidentschaftswahlen" dürften sich schon bald als Illusion erweisen. Denn die Interessengegensätze zwischen den führenden WTO-Mitgliedsstaaten, die eine Einigung bei der Genfer Verhandlungsrunde verhinderten, werden künftig eher noch zu- als abnehmen.
In den USA stehen Regierung und Parlament unter wachsendem Druck einer Bevölkerung, die immer stärker von den negativen Folgen der neoliberalen Handelsglobalisierung, die seit 15 Jahren im Rahmen der WTO betrieben wird, betroffen ist. Egal ob der neue US-Präsident ab 4. November Barack Obama oder John McCain heißt: der am selben Tag zum Teil neu gewählte Kongress in Washington wird noch freihandelsskeptischer und protektionistischer sein als der bisherige. Das in Genf von der US-Delegation vorgelegte Angebot zur Reduzierung von Agrarsubventionen, für das die Bush-Administration schon jetzt kein Mandat des Kongresses hatte, wird es dann nicht mehr geben.
Auf der anderen Seite werden China, Indien und andere bevölkerungsreiche Schwellenländer in dem Maße, wie ihre Bedeutung als Absatzmarkt für die Exporte aus EU und USA wächst, immer geringeren Druck verspüren, ihre höhen Zölle für Autos und andere Industriegüter in dem von Brüssel und Washington verlangten Ausmaß zu reduzieren. Auch der Streitpunkt, an dem die Genfer Verhandlungsrunde schließlich platzte, wird angesichts der weltweiten Nahrungsmittelkrise für jede künftige Verhandlungsrunde noch größere Bedeutung haben: Indien und China hatten einen speziellen Sicherheitsmechanismus verlangt, der den Schwellen- und Entwicklungsländern erlaubt hätte, ihre Einfuhrzölle auf "sensible" Agraprodukte wie zum Beispiel Reis nur begrenzt zu senken oder gar zu erhöhen. So sollten die eigenen Bauern vor einem existenzbedrohenden Preisverfall geschützt werden.
Im Kern geht es bei dieser Forderung auch um Nahrungsmittelsicherheit: die Fähigkeit von Staaten, ihre eigene Bevölkerung möglichst weitgehend aus landeseigener Produktion zu ernähren. Und so gab es für diese Forderung Chinas und Indiens auch große Sympathien in Japan, das seine heimischen Reisbauern aus ebendiesem Grund mit protektionistischen Maßnahmen schützt.
Zumindest auf Verständnis stieß die Forderung nach Schutzmechanismen bei den sechs EU-Staaten unter Führung Frankreichs, die das in Genf von der EU-Kommission unterbreitete Angebot zum Abbau der Agrarzölle und- subventionen in der EU als "zu weitgehend" ablehnten. Doch die Forderung scheiterte dann am Nein der USA, die die Exportinteressen ihrer Farmer gefährdet sahen.
Während Regierungsvertreter Chinas, Indiens und der USA sich gegenseitig für den Kollaps der Verhandlungen verantwortlich machten, beschränkten sich Vertreter der EU auf Worte des Bedauerns. Indonesiens Handelsministerin Mari Elka Pangestu, die die Gruppe von 33 Entwicklungsländern in der WTO koordiniert, erklärte, verantwortlich für das Scheitern der Verhandlungen sei "die Unfähigkeit der reichen Industrienationen, mit dem wachsenden Einfluss Chinas, Indiens und Brasiliens in der Weltwirtschaft umzugehen".
Begrüßt wurde das Scheitern von Attac, Oxfam und anderen globalierungskritischen Nichtregierungsorganisationen. "Die Verhandlungen sind gescheitert, weil die reichen Industriestaaten nur Forderungen stellten und selbst elementare Bedürfnisse der Entwicklungsländer igonierten", erklärte Attac. Jetzt seien "Freiräume geöffnet für einen Politikwechsel hin zu einer sozialeren und umweltverträglicheren Ausgestaltung der Weltwirtschaft".
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