Nach entscheidender Sitzung: EWE-Chef bleibt im Amt
Der Aufsichtsrat des Oldenburger Energiekonzerns EWE spricht dem Vorstandsvorsitzenden Werner Brinker das Vertrauen aus - warum, bleibt im Dunkeln.
OLDENBURG taz | Als Werner Brinker, der Chef des Oldenburger Energiekonzerns EWE AG, am Ende einer langen, heiklen Aufsichtsratssitzung einen VW-Bus bestieg und die Tür hinter sich zuschob, als wäre er auf der Flucht, da sah er nicht mehr aus wie der Konzernlenker, der von manchen „Sonnengott“ genannt wird, weil er so mächtig ist. Angegriffen, gehetzt, bloß weg hier.
Immerhin: Als die Tür zu und der Bus los gefahren war, hatte er den Tag überstanden – und konnte sich sicher sein, dass er als Chef im Amt bleibt. Der Aufsichtsrat hatte ihm zuvor nach dreistündiger Sitzung demonstrativ den Rücken gestärkt.
Aufsichtsratsvorsitzender Günther Boekhoff, ein alter SPD-Mann aus Ostfriesland, Ehrenbürgermeister der Stadt Leer, fasste das auf einer improvisierten Pressekonferenz in dem erhellenden Satz zusammen: „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Vorstand uns eine detaillierte Berichterstattung gegeben hat, und dass wir uns aufgrund der detaillierten Berichterstattung entschlossen haben, dem Vorstand unsere uneingeschränkte Unterstützung auszusprechen.“
Seit dem 20. September waren Brinker und EWE nicht mehr aus den Schlagzeilen gekommen – zunächst und anhaltend wegen des Schulpräventionsprogramms „Sign“, für das EWE seit 2000 der Agentur Prevent GmbH jährlich Millionen überwiesen hatte – zuletzt gut 3,3 Millionen Euro, ohne offenbar genau zu kontrollieren, ob das Geld auch sachgerecht verwendet wird. Die Prevent-Chefin hatte über Jahre Millionenbeträge an dem Projekt vorbei geschleust und sich dabei möglicher Weise das laxe Controlling bei EWE und eine schwammige Passage im Vertrag über das „Sign“-Projekt zunutze gemacht. Die Gewinnsituation bei der Agentur war, so vermuteten es die Ermittler der Zentralen Kriminalinspektion, die im vergangenen Jahr gegen die Agentur-Chefin wegen des Verdachts auf Geldwäsche ermittelt hatten, bei der EWE allerdings „bekannt und gewollt“.
Zum „Sign“-Skandal hinzu kam dann noch eine alte Geschichte aus Eberswalde: 2002 hatte sich EWE auf ihrem Expansionskurs für den Erwerb von Anteilen an den Stadtwerken der brandenburgischen Stadt interessiert. Um die Anteile zu erwerben, versprachen Brinker und ein damaliger Vorstandskollege dem Eberswalder Bürgermeister 307.000 Euro für die dort stattfindende Landesgartenschau – und verpflichteten den Bürgermeister auf Rückzahlung, wenn der Verkauf der Stadtwerke-Anteile nicht zustande kommen sollte. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelte gegen die beiden EWE-Chefs, stellte das Verfahren gegen Brinker ein, brummte dem Vorstandskollegen einen fünfstelligen Betrag as Strafe auf und EWE 400.000 Euro Unternehmensgeldbuße wegen Vorteilsgewährung.
Als das kürzlich nach taz-Recherchen die kommunalen Eigentümer der EWE – 21 Städte und Landkreise, denen EWE zu 74 Prozent gehört – auf ihrer Versammlung erfuhren, sollen einige von ihnen – darunter auch Aufsichtsratsmitglieder – baff gewesen sein. 400.000 Euro Geldbuße, das konnten selbst manche Landräte nicht gut heißen, zumal Brinker die Geldbuße erst durch hartnäckiges Nachfragen eines kritischen Fragestellers erläuterte.
Nun also: die Aufsichtsratssitzung. Gereicht wurde gedeckter Apfel- und Schoko-Kirsch-Kuchen, Tee, Kaffee und Kaltgetränke. Bereits am Vortag hatte Aufsichtsratsvorsitzender Boekhoff gesagt, er gehe nicht davon aus, dass Brinker danach nicht mehr EWE-Chef sein würde.
Und so kam es dann auch – weil er so detailliert berichtet hat, vertraut das Kontrollgremium dem Chef. Erstaunlicher Weise aber sollen die Vorgänge noch von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unter die Lupe genommen werden. Außerdem soll das Controlling verbessert und ein zusätzlicher Ausschuss im Aufsichtsrat eingerichtet werden, der das Sponsoring der EWE kontrolliert. Man scheint dem Chef irgendwie doch nicht mehr so zu trauen. Aber im Amt bleiben darf er.
Ob es nicht seltsam sei, dass erst Vertrauen ausgesprochen und dann untersucht werde, wurde Boekhoff gefragt. Dass, antwortete er, sei „eine Frage, die durchaus berechtigt ist, aber ich sagte: Es ist detailliert vorgetragen worden und sehr eingehend auch diskutiert worden, es war auch plausibel, was uns vorgetragen worden ist, und deshalb haben wir gesagt, der Vorstand hat unser Vertrauen“.
Die Prüfung, davon wird man ausgehen dürfen, wird dringend nötig sein, denn wieder und wieder musste Boekhoff bei Fragen auf die ausstehende Untersuchung verweisen. Offenbar ist ihm als oberstem Kontrolleur und dem Gremium noch vieles völlig unklar.
Da war die Frage nach offenbar fehlenden Unterschriften eines zweiten EWE-Vorstandes oder eines Prokuristen unter den Vereinbarungen, mit denen der ursprünglich nur bis 2004 geltende „Sign“-Vertrag zwischen EWE und Agentur Prevent letztlich bis 2017 verlängert wurde. Sollte – und darauf deutet derzeit vieles hin – diese Verträge nur Brinker unterzeichnet haben, dann wäre das ein Verstoß gegen die EWE-Satzung, die Vertragsverlängerungen nach Ansicht von Wirtschaftsjuristen ungültig.
Dazu Boekhoff: „Diese Unterschriftengeschichte ist eine Sache, die auch von Seiten der Prüfer mit untersucht wird“.
Erst vor wenigen Tagen hatte EWE den ursprünglichen „Sign“-Vertrag mit Unterschriften Brinkers und eines Vorstandskollegen vorlegen können – obwohl bereits seit Wochen gemutmaßt worden war, auch auf dem könnte mindestens eine EWE-Unterschrift fehlen. Dass dieser Vertrag ganz plötzlich einen Tag vor der Aufsichtsratssitzung auftauchte – laut EWE-Pressestelle aufgefunden im Aktenbestand eines Mitarbeiters, der im Krankenhaus lag – , mag purer Zufall sein, lässt aber zumindest Rückschlüsse über Optimierungen der Aktenablage bei EWE zu.
Dann wurde Boekhoff gefragt, was die Ermittler wohl gemeint haben könnten, als sie im Zuge der Geldwäscheermittlungen gegen die Prevent-Chefin 2010 meinten, deren Gewinnsituation sei bei EWE „bekannt und gewollt“ gewesen. Boekhoff dazu: Man werde das untersuchen.
Und die hohen Pauschalbeträge, die EWE neben zum Teil exorbitant zu hohen Rechnungen an die Geschäftspartnerin überwies? Boekhoff: Auch das werde von dem noch zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer untersucht.
Schließlich die Frage nach der Anzahl der Schulklassen – zum Schluss waren es 1.200 –, für die EWE pro Quartal jeweils um die 1.600 Euro überwies, obwohl im Jahr 2010 etwa nur dreihundert „Sign“-Veranstaltungen stattfanden. Ein offensichtliches – und für EWE teures – Missverhältnis. Boekhoff, man ahnt es schon: „Das kann ich im Moment nicht beantworten, da müssen wir ganz ehrlich sein miteinander, das wird Auftrag der Prüfung sein.“
Dennoch: Brinker hat das Vertrauen. Obwohl offenbar niemand von den Kontrolleuren weiß, was geschehen ist.
Es wurde bei der kleinen Pressekonferenz im EWE Forum „Alte Fleiwa“, der alten Fleischwarenfabrik im Oldenburger Zentrum, die die EWE vor Jahren gekauft hat, auch noch über das Eberswaldegate und die 400.000-Euro-Unternehmensgeldbuße gesprochen. Brinker hatte darüber nur das Präsidium des Aufsichtsrates informiert, das die Zahlung der Strafe genehmigte. Nach Ansicht des renommierten Bonner Juraprofessors Marcus Lutter, einem Experten für Aktienrecht, der ein Buch über die „Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats“ geschrieben hat, hätte Boekhoff als Aufsichtsratsvorsitzender und Mitglied des Präsidiums aber das gesamte Kontrollgremium darüber informieren müssen – und das hätte entscheiden müssen, ob es Brinker in Haftung nimmt. Wurde bei der Aufsichtsratssitzung darüber gesprochen?
Boekhoff sagte dazu: „Nein, das war auch nicht nötig, weil es in der Vergangenheit einen Beschluss des Präsidiums des Aufsichtsrats gegeben hat, dass das aus EWE-Mitteln beglichen wird.“
Und warum?
„Wir sind zu der Auffassung gekommen.“
Ja, aber gab es einen Grund dafür?
Boekhoff wieder: „Wir sind zu der Auffassung gekommen.“
Seiner Ansicht nach hätte das Thema übrigens auch vom Vorstand alleine erledigt werden können. Boekhoff wertet es als Zeichen der Bemühungen um Transparenz des Vorstandes, dass der es überhaupt dem Aufsichtsratspräsidium mitgeteilt habe.
Am Ende des Tages, als der Chef längst im abgedunkelten VW-Bus weggebracht worden war, verschwanden auch die gut gekleideten Hintersassen Brinkers. Sein treuer Konzernsprecher, sein Referent, ein anderer, der bei der Unternehmensentwicklung tätig ist. Sie alle trugen eine Plastikdose mit sich, darin: die Reste vom Aufsichtsratskuchenbufett.
Sage noch einer, bei EWE verpulverten sie das Geld.
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