: „Nach einem Jahr ist eben finito“
■ Es läuft alles darauf hinaus, Arbeitslose zu „Menschen zweiter Klasse“ zu machen
Die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) ist in der Mache. Die taz sprach mit Martin Lühr von der Arbeitslosenberatung Grenzstraße (AGAB) über den gegenwärtigen Planungsstand.
taz: Was ist vom neuen Gesetzentwurf zu erwarten?
Martin Lühr: Meiner Meinung nach läuft alles darauf hinaus, daß Arbeitslose zu Menschen zweiter Klasse gemacht werden. Verschiedene Einschnitte sind vorgesehen: Die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs für Ältere Erwerbslose soll gekürzt werden. Die Arbeitslosenhilfe soll ganz aus dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ausgekoppelt werden. Eigenbemühung bei der Stellensuche soll als Kriterium eingeführt werden.
Wen träfe das besonders?
Am ehesten Menschen ohne Abschluß und Frauen, die im Erziehungsurlaub sind. Sie sollen keine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld mehr durch Erziehungsurlaub erreichen, wie das bisher noch der Fall ist. Auch was mit Arbeitslosenhilfe-BezieherInnen passieren soll, ist noch völlig unklar. Der Gesetzentwurf schweigt sich dazu aus. Es soll nur noch der nachrangige Charakter der Arbeitslosenhilfe betont werden. Wir vermuten, daß beabsichtigt ist, die Arbeitslosenhilfe komplett entfallen zu lassen. Das hieße, daß Arbeitslosenhilfe-BezieherInnen nach absehbarer Zeit ihren Lebensunterhalt aus Sozialhilfe bestreiten müßten. Aber noch diskutieren wir ja nur über einen Vorentwurf. Wir gehen davon aus, daß die Länder und die Arbeitnehmerorganisationen erbitterten Widerstand gegen das „Reformgesetz“ leisten, das im Prinzip ein Arbeitsförderungs-Abbaugesetz ist.
Wenn es umgesetzt wird, worauf müßten Arbeitslose beispielsweise bei der Arbeitslosmeldung achten?
Am besten sollten sie gar nicht nicht erst arbeitslos werden. Mehr kann man dazu kaum sagen. Künftig soll der defizitäre Ansatz festgeschrieben werden, nach dem Motto: Wer arbeitslos wird, hat selber schuld und muß sich kümmern. Wer sich nicht kümmert, für den ist eben nach einem Jahr finito. Der fliegt dann aus der Statistik.
Es heißt, mit der Reform soll Fortbildung ein neues Gewicht bekommen. Wie ist das einzuschätzen?
Nach meiner Ansicht handelt es sich dabei vor allem um Billigmaßnahmen von kurzer Dauer, die mit unbezahlten Praktika usw. hauptsächlich dazu dienen, Arbeitslose irgendwelchen Betrieben wie Sauerbier anzubieten. Richtige Qualifizierung wird erstmal zurückgefahren, weil die Bedingungen verschärft werden, um in den Genuß von Maßnahmen zu kommen. Generell wird der präventive Charakter des AFG zurückgenommen. Qualifizierung soll nur noch mit dem Ziel der möglichst raschen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auf welchem Niveau auch immer funktionieren. Höherqualifizierung für zukünftige Anforderungen des Arbeitsmarktes soll dann nicht mehr stattfinden.
ede
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