■ Nach den Unruhen in Fidel Castros Inselstaat: Ich gehe zurück nach Kuba!
Reynaldo Escobar ist ein kubanischer Journalist, dem die Ausübung seines Berufs in Kuba verboten ist, seit er im Dezember 1988 aus der Zeitung des Kommunistischen Jugendverbands, „Juventud Rebelde“, entlassen wurde. Anlaß war ein Artikel von ihm unter dem Titel „30 Jahre nach der Revolution – worüber sich die kubanische Jugend beschwert“. Seitdem war er lange als Fahrstuhlreparateur tätig. Gegenwärtig arbeitet er in einer Schulbibliothek. Für drei Monate war er hier zu Besuch.
Seit ich Havanna am 20. Mai verlassen habe, wollte ich Nachrichten aus Kuba bekommen. Bei den ersten, die ich jetzt gesehen habe, hätte ich mir am liebsten Augen und Ohren zugehalten: In Havanna tragen Anhänger und Gegner der Regierung ihre ideologischen Differenzen mit Steinwürfen und Knüppelhieben aus. Ich werde am 20. August nach Kuba zurückkehren. Ob die Hiebe wohl bis dahin die Feinde der Revolution überzeugt haben werden, daß es innerhalb der Insel keinen Raum für Widerspruch gibt?
Wahrscheinlich kannte kaum einer der Menschen, die am 5. August eigenes oder fremdes Blut vergossen haben, einen Brief, den Fidel Castro im Jahre 1956 schrieb, kurz bevor er Kuba in Richtung Mexiko verließ (wo er den Guerillakrieg vorbereitete, der ihn drei Jahre später an die Macht bringen sollte). Darin verkündete Castro, daß er Kuba verlasse, weil alle Wege für zivilen politischen Kampf verschlossen seien. „Von einer Reise wie dieser“, ließ der ungestüme Revolutionsführer wissen, „kehrt man entweder nie zurück, oder man kehrt zurück, um die Tyrannei zu enthaupten.“
38 Jahre danach erklärt der Comandante en Jefe, der der gegenwärtigen Opposition keine Wege des zivilen politischen Kampfes offenläßt, daß die Regierung in Washington die Schuld am gegenwärtigen Exodus aus Kuba trage. Denn die USA empfangen an der Küste Floridas all jene als Helden, die illegal fliehen und denen sie zuvor ein legales Einreisevisum verweigert haben. Es ist sehr schwierig, in dieser Situation eine objektive Haltung zu beziehen, und nicht nur, weil man mich dafür bei meiner Ankunft in Havanna mit Knüppelhieben empfangen könnte. Es ist auch deswegen schwierig, weil sich die bittere Situation, die Kuba heute durchlebt, nicht mit einer Handvoll Argumente erklären läßt.
Natürlich ist es die Schuld der US-Amerikaner, daß diejenigen, die das Leben in Kuba nicht mehr aushalten, sich gerade die USA als Emigrationsziel erwählen. Aber das erklärt noch nicht, warum die Kubaner eigentlich auswandern. Es stimmt auch, daß keine Regierung es zulassen kann, daß ihre Bürger mit Gewalt Boote entführen und dabei das Leben anderer Personen gefährden oder gar einen Wachhabenden ermorden, der sie daran hindern will. Aber es geht hier nicht um vier Piraten pro Jahr, sondern um über 4.500 Menschen allein in den ersten sieben Monaten dieses Jahres.
1956 hat Castro Kuba verlassen, weil er keinen Raum für die zivile politische Auseinandersetzung sah. Heute geht es nicht nur um das Fehlen politischer Alternativen. Es geht auch darum, daß die Kubaner keine legalen Möglichkeiten haben, selbständig zu wirtschaften. So flüchten sie nach Miami in die Knechtschaft kapitalistischer Ausbeutung.
Natürlich kann man behaupten, daß auch am Fehlen politischer Alternativen und an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Imperialismus die Schuld trägt, der eine eiserne Blockade um die Insel verhängt und der nie aufgehört hat, Sabotageakte, Attentate und Destabilisierungsversuche gegen die Revolution zu organisieren, seit diese sich Anfang der 60er Jahre die Abschaffung des Kapitalismus in Kuba zum Ziel setzte. Aber es gibt auch dahinter eine andere Wahrheit: Fidel Castro setzte darauf, daß man den Sozialismus auch trotz Blockade errichten könnte. Und es war der Glaube an diese Möglichkeit, der ein ganzes Volk dazu brachte, Fidel Castro zu unterstützen und jedweder Gefahr ins Auge zu sehen, um die leuchtende Zukunft zu erreichen.
Heute aber könnte die Zukunft nicht schwärzer sein, und zum erstenmal in 35 Jahren gingen Männer und Frauen, die von der Pädagogik der Revolution erzogen und vom besten Gesundheitssystem Lateinamerikas behütet wurden, auf die Straße, um Fensterscheiben einzuwerfen und sich eine Straßenschlacht mit der Polizei zu liefern.
Als Lösung präsentiert Fidel die Drohung, daß er die kubanische Küstenwache anweisen werde, keine der bisher klandestinen und illegalen Fluchtversuche von der Insel mehr zu verhindern. Er werde, so droht er, den Exilkubanern aus Miami gestatten, mit ihren Booten nach Kuba zu kommen und so viele Familienangehörige und Freunde außer Landes zu bringen, wie sie wollen. Als 1980 ein Massenexodus über den Hafen von Mariel erlaubt wurde, verließen mehr als 125.000 Kubaner auf diesem Wege ihre Heimat. Wieviele wären es heute, wenn die USA es nicht verhindern würden? Was würden dann die Hunderttausenden Kubaner und Kubanerinnen machen, die heute zumindest überlegen, von der Insel zu fliehen? Wo wird all dies enden? Das Wahrscheinlichste ist, daß es nicht zu dem befürchteten „Blutbad“ kommen wird, daß die illegalen Ausreisen sich für eine Zeitlang reduzieren werden und daß die Gegner der Regierung davon Abstand nehmen, auf der Straße zu demonstrieren, weil sie den Bruch ihrer Schädel fürchten. Die USA werden die Blockade nicht aufheben, und Fidel Castro wird die Bildung anderer Parteien nicht zulassen. Die wirtschaftliche Öffnung des Landes wird für die Kubaner auf der Insel kaum über die Erlaubnis hinausgehen, ihre Fahrräder selbst zu reparieren, während die ausländischen Investitionen weiter zunehmen werden. Lebensmittel werden unverändert knapp und rationiert sein, die Stromsperren werden weitergehen, und es wird weiterhin fast unmöglich sein, in Havanna einen Bus zu finden, der einen mitnimmt. Der Dollar wird auf dem Schwarzmarkt weiter steigen, wo derzeit 1 Dollar gegen 120 Pesos getauscht wird, und die Löhne werden unverändert bei durchschnittlich 200 Pesos im Monat bleiben.
Der Sturm wird sich vertagen, und vermutlich wird der „Sieg vom 5.August“ zu einem Gedenktag der Revolution erklärt. Derweil wird Miami wie seit 35 Jahren den „unmittelbar bevorstehenden“ Sturz Castros prophezeien. Das ist, was mir das Wahrscheinlichste erscheint. Aber man weiß ja nie. Vielleicht passiert ja das Wunder, und in Kuba wird der Sozialismus errichtet. Und vielleicht empfangen sie mich bei meiner Ankunft in Havanna nicht mit Knüppelhieben. Reynaldo Escobar
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