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■ Nach den Kommunalwahlen in Hessen: ratlose ParalyseNeue Normalität

Der Begriff der Protestwahl hat erst mal ausgedient. Er bezeichnete einst, in den übersichtlicheren Zeiten vor der Vereinigung, den Unmut, der sich in außergewöhnlichem Wahlverhalten gegen die etablierten Parteien Luft machte. Doch die Charakterisierung unterstellt – noch wo sie ihn temporär außer Kraft gesetzt sieht – den Konsens mit den politischen Verhältnissen als Regelfall. Wenn aber, was bislang euphemistisch „Denkzettelwahl“ hieß, obligatorisch wird, markiert der Protest die neue Normalität. Die zentralen Tendenzen jedenfalls, die die hessische Kommunalwahl erbracht hat, waren bereits vor knapp einem Jahr an den Wahlergebnissen in Baden- Württemberg und Schleswig-Holstein ablesbar. Einziger Unterschied heute: Die Überraschung darüber, daß der Grundkonsens der Gesellschaft mit den tragenden politischen Kräften in der Bundesrepublik nachhaltig zerrüttet scheint, hält sich bereits in Grenzen. Wurde vor einem Jahr noch in konsternierter Hektik die große Umkehr beschworen, herrscht nach der Hessenwahl ratlose Paralyse.

Das gilt allemal für die Sozialdemokraten. Ergab bislang die Unfähigkeit der stärksten Oppositionspartei, vom katastrophalen Erscheinungsbild der Regierungskoalition zu profitieren, ein schon deprimierendes Krisensignal, so hat der hessische Wahlsonntag den Sozialdemokraten neue, dramatische Abstiegsperspektiven eröffnet. Ob die SPD heute nur in der tiefsten Orientierungskrise seit den 50er Jahren steckt oder ob sie – reduziert auf Klientelpolitik, linksliberalen Goodwill und Anbiederungspragmatismus – gerade dabei ist, sich als politische Alternative überflüssig zu machen, ist keinesfalls ausgemacht. Der Versuch jedenfalls, als verantwortliche Kooperation zu verkaufen, was erkennbar auf Phantasie- und Mutlosigkeit beruht, darf als gescheitert gelten. Daß die überfälligen personellen Konsequenzen wohl ausbleiben werden, weil die Alternativen fehlen, macht die Krise vollends komplett.

Das größte Glück der Konservativen ist denn auch, daß es der SPD noch schlechter geht. Doch wie sich für letztere der bloße Anpassungskurs an die Union nicht auszahlt, kann diese auch mit populistischen Konzessionen an die rechte Klientel den Aufstieg der „Republikaner“ nicht stoppen. Schon gilt auch ihr bundespolitischer Durchbruch als programmiert. Der lange als Hebel gegen die unliebsame Konkurrenz beschworene Handlungszwang in Sachen Asyl jedenfalls hat die Attraktivität der „Republikaner“ nicht gemindert. Eher scheint es in den Augen ihrer Anhänger die Existenz der „Republikaner“ gerade zu legitimieren, wenn sich die großen Parteien ihren kruden gesellschaftspolitischen Forderungen annähern. Darin, nicht in der bislang eher peinlichen parlamentarischen Repräsentanz der Rechten, liegt das Beunruhigende der neuen politischen Normalität. Matthias Geis

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